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Rebecka Martinsson 03 - Der schwarze Steg

Rebecka Martinsson 03 - Der schwarze Steg

Titel: Rebecka Martinsson 03 - Der schwarze Steg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åsa Larsson
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jagen, um ein auf Abwege geratenes Rentier zurückzubringen. Niemals quengelte er herum, weil er zu Hause bleiben und Computerspiele spielen wollte, wie so viele seiner Freunde.
    Und während Papa und Antte in den Bergen waren, malte Mutter, führte Bestellungen für Mattarahkka aus, Füchse, Schneehühner, Elche und Rentiere aus Keramik. Sie ging nicht ans Telefon. Vergaß das Essen.
    Papa und Antte konnten in ein eiskaltes Haus mit leerem Kühlschrank zurückkehren. Das fanden sie natürlich nicht so hinreißend. Dass erschöpfte und verdreckte Leute sich gleich wieder ins Auto setzen und zum Einkaufen in die Stadt fahren mussten. In dieser Hinsicht war sie hoffnungslos. Als Antte und ich zur Schule gingen, zum Beispiel. Wir sagten ihr vorher, so früh wie möglich: Am Donnerstag machen wir einen Schulausflug da und da hin. Wir sollen Proviant mitbringen. Aber sie bereitete nichts vor. Am Donnerstagmorgen durchwühlte sie dann den Kühlschrank, während das Schultaxi wartete. Und sie gab uns irgendetwas mit. Zum Beispiel Brote mit in Scheiben geschnittenen Fischfrikadellen. In der Schule machten die anderen Kinder Kotzbewegungen, wenn wir unser Essen auspackten. Antte schämte sich. Ich sah das seinen Wangen an, sie wurden rot, karminrote Flecken auf der fast zinkweißen Haut, und Ohren, die im Gegenlicht glühten, die Adern wurden durchleuchtet, kleine kadmiumrote Fäden. Manchmal warf er seinen Proviant demonstrativ weg. War den ganzen Tag hungrig und wütend. Ich aß. In dieser Hinsicht war ich wie sie. Mir war es ziemlich egal, was ich in mich hineinstopfte. Die anderen in der Schule waren mir auch egal. Und die meisten ließen mich in Ruhe.
    Der schlimmste Quälgeist war selber ein Außenseiter. Er hieß Bengt. Er hatte keine Freunde. Er war es, der schreien, mich auf den Hinterkopf schlagen und loslegen konnte:
    »Weißt du, warum du so blöd bist? Weißt du das, Kallis? Weil deine Mutter in der Anstalt war; und jede Menge Psychomedizin gefressen hat, und die hat dir einen Gehirnschaden verpasst. Kapiert? Und außerdem hat ihr ein Currykocher einen dicken Bauch gemacht. Currykocher.«
    Und so machte er weiter, während er zu den anderen Jungen hinüberschielte. Mit seinen wässrig-blauen Augen. Es war ein gejagter Blick, die ganze Iris war zu sehen, Aquarell, vermischt mit Kobalt. Aber was half das schon. Er musste trotzdem zusammen mit mir ganz unten bleiben. Und für ihn war das schlimmer, er litt nämlich darunter.
    Ich litt nicht. Ich war schon geworden wie sie. Wie sie, die ich auf Samisch »Eatnážan« nenne, meine kleine Mama.
    Ich war total vertieft ins Sehen. Alles um mich herum, alle Menschen, die eigentlich leben und voller Blut sind, alle Tiere mit ihren kleinen Seelen, alle Dinge und Gewächse, alle Verbindungen zwischen ihnen, das alles sind Linien, Farben, Kontraste, Kompositionen. Alles landet im Rechteck. Es verliert: Geschmack, Geruch und eine Dimension. Aber wenn ich tüchtig bin, gewinne ich alles zurück und noch mehr dazu. Das Bild landet zwischen mir und dem, was ich sage. Sogar, wenn ich es selbst bin, die ich betrachte.
    So war sie. Immer einen Schritt zurückgetreten, um zu betrachten. Aktiv. Aber mehr oder weniger in sich versunken. Ich kann mich an so manches Essen erinnern. Vater war bei der Arbeit. Sie hatte in aller Eile irgendetwas gekocht. Während der ganzen Mahlzeit blieb sie stumm. Aber Antte und ich waren Kinder, wir gerieten uns am Esstisch immer wieder in die Haare. Vielleicht stießen wir am Ende ein Glas Milch um oder so. Dann konnte sie plötzlich tief seufzen. Gleichsam traurig, denn wir hatten ihre Gedanken gestört, sie musste zurückkehren. Antte und ich verstummten dann und starrten sie an. Als ob eine Tote sich plötzlich bewegt hätte. Sie wischte die Milch auf. Missmutig und aus ihren Gedanken gerissen. Manchmal hatte sie auch keine Lust, sie rief einen der Hunde, und der durfte auflecken.
    Sie tat alles, was sie zu tun hatte, machte sauber, kochte, wusch. Aber nur ihre Hände waren dabei beschäftigt. Ihre Gedanken waren weit weg. Manchmal versuchte Vater, sich zu beschweren. »Die Suppe ist zu kalt«, konnte er sagen und seinen Teller wegschieben. Sie war dann nicht beleidigt. Es war so, als hätte eine andere das ungenießbare Essen gekocht. »Soll ich dir lieber ein Brot machen?«, fragte sie.
    Wenn er sich über das Chaos im Haus beklagte, dann fing sie an aufzuräumen. Vielleicht hatte Vater deshalb beschlossen, mich aufzunehmen. Ihr hatte er sicher

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