Rebecka Martinsson 03 - Der schwarze Steg
gesagt, sie brauchten das Geld. Vielleicht glaubte er das auch selbst. Aber wenn ich mir das jetzt überlege, dann denke ich, dass er unbewusst hoffte, ein Kleinkind werde sie in diese Welt zurückholen. Wie früher, als Antte noch ganz klein gewesen war. Da war sie da gewesen. Vielleicht würde ein Kind eine richtige Ehefrau aus ihr machen.
Er wollte Türen in ihr öffnen. Aber er wusste nicht, wie. Und er dachte, ich solle die Brücke sein, die Mutter zu ihm und Antte zurückführte, doch dann passierte das Gegenteil. Sie malte. Ich lag auf dem Bauch im Atelier und zeichnete. »Was zum Teufel ist denn los mit dir? Mach, dass du an die frische Luft kommst!«, sagte Vater zu mir und knallte mit der Tür. Ich begriff nicht, warum er so wütend war, ich hatte doch nichts angestellt.
Jetzt kann ich seine Wut verstehen. Ich verstand sie schon damals, mir fehlten nur die Worte. Aber ich malte es. In meinem Zimmer in der Mansarde in Mauris Haus habe ich fast alle meine Bilder und Zeichnungen. Darunter gibt es ein Elsa-Beskow-Pastiche. Als ich es gemalt habe, wusste ich nicht einmal, was »Pastiche« bedeutet.
Das Bild zeigt eine Mutter und ein kleines Mädchen beim Blaubeerpflücken. Ein Stück entfernt zwischen einigen knorrigen Bergbirken steht ein Bär und beobachtet sie. Er steht auf zwei Beinen und lässt den Kopf schwer und träge hängen. Sein Blick ist schwer zu deuten. Wenn ich je eine Hälfte des Bärengesichts mit der Hand verdecke, entstehen unterschiedliche Ausdrücke. Die eine Hälfte ist wütend. Die andere ist traurig.
Herrgott, der Bär hat solche Ähnlichkeit mit Vater, dass ich lächeln muss. Er ähnelt auch Antte. Jetzt, im Nachhinein, sehe ich das.
Ich kann Antte in der Türöffnung zu Mutters Atelier stehen sehen. Er ist elf Jahre alt. Ich bin sieben. Mutter sucht Bilder aus. Sie darf in einer Galerie in Umeå fünf Bilder aufhängen, und es fällt ihr schwer, sich zu entscheiden. Sie fragt mich nach meiner Meinung.
Ich überlege und zeige auf ein Bild. Mutter nickt und grübelt.
»Ich finde, du solltest die da nehmen«, sagt Antte von der Tür her.
Er zeigt auf ganz andere Bilder, als ich mir ausgesucht habe, schaut herausfordernd und trotzig abwechselnd Mutter und mich an.
Mutter entscheidet sich am Ende für die, auf die ich gezeigt habe. Und da steht Antte in der Türöffnung und lässt seinen Bärenschädel hängen.
Der arme Antte. Er glaubte, Mutter habe sich zwischen ihm und mir entschieden. In Wirklichkeit entschied sie sich für die Kunst. Sie hätte niemals etwas weniger Gutes ausgesucht, nur um ihm eine Freude zu machen. So einfach war das. Und so schwer.
Genauso war es bei Vater. Im tiefsten Herzen wusste er es wohl. Er fühlte sich einsam in der Wirklichkeit, in der es um Haus und Kinder ging, um Bett, Nachbarn, Rentiere, das samische Parlament.
Ich weiß noch, ehe ich in die Schule kam, wie es war, wenn Vater und Antte morgens losgezogen waren. Wie ich ihr half, in dem großen Bett ihren Trauring zu suchen. Sie zog ihn abends immer vom Finger.
Jetzt ist sie nicht mehr da. Als ihr Körper ihr nicht mehr gehorchen wollte. Das muss die schlimmste Zeit gewesen sein.
Ehe diese Zeit kam, stand sie bis tief in die Nacht hinein im Atelier und malte. Das war wenig einträglich im Vergleich zu den Auftragsarbeiten für Mattarahkka und einen Laden in Luleå, wo Silberschmuck und ihre Keramik verkauft wurden.
Ich versuchte, mich unsichtbar zu machen. Saß auf der Treppe zu unseren zwei Zimmern mit Küche im ersten Stock und schaute in den alten Wartesaal. Unser Zuhause war von Gerüchen erfüllt. Von alten und neuen. Man lüftet nicht im Winter, bei dreißig Grad unter null. Es roch nach stickigem Haus und feuchten Hunden. Es roch nach gekochtem Fleisch und dem scharfen Geruch alter Rentierfelle, so, wie die riechen, wenn das Fett im Fell ein wenig ranzig geworden ist. Sie hatte immer schon so viele Dinge aus Rentierfell gehabt. Wiegen und Schalen, Rucksäcke und Felle. Und abends, in der Stille, gab es den Geruch von Terpentin und Ölfarben oder Duftschwaden von Ton, wenn sie sich mit Keramik beschäftigte. Ich kannte die Treppe in- und auswendig, schlich mich unhörbar Stufe um Stufe nach unten, wich allen knackenden Stellen aus. Ich drückte ganz vorsichtig die Klinke hinunter. Saß draußen auf dem Gang und beobachtete sie durch den Türspalt. Und dabei betrachtete ich ihre Hand. Wie die sich über die Leinwand bewegte. Fegende, lange Striche mit dem breiten Bürstenpinsel. Das
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