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Rebellen: Roman (German Edition)

Rebellen: Roman (German Edition)

Titel: Rebellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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Zeichen.
    Darauf hatten sie gewartet!
    Davon sangen die Chambers Brothers: The time has come today.
    Das meinte Jimi: But first, are you experienced?
    Jetzt geht’s los!
    Jetzt wehren wir uns.
    Hier steht es: Wir sind nicht machtlos.
    Wir sind gegen so vieles.
    In der Berufsschule rutschte er auf seinem Stuhl umher, sah verträumt zum Fenster hinaus, merkte nicht, dass der Fachkundelehrer ihn aufrief, bis endlich um eins die Schulglocke läutete. Er wartete am Eingang auf Strunz, und dann rannten sie von der Gewerbeschule II am Bahnhof in die Innenstadt. In rekordverdächtigen sechs Minuten waren sie da und standen atemlos am Bertoldsbrunnen.
    Hier war die zentrale Kreuzung der Stadt. Salz- und Bertoldstraße schnitten sich hier mit der Kaiser-Joseph-Straße. Hier trafen sich alle Straßenbahnlinien. Ampeln steuerten den Fluss der Autos auf der Nord-Süd-Achse vom Siegesdenkmal durch das Martinstor, darüber führten vier Zebrastreifen. Wenn der Bertoldsbrunnen blockiert wurde, stand die Stadt.
    Vor den Ampeln warteten dicht zusammengedrängt Jugendliche auf dem Bürgersteig, zumeist Schüler, einige Studenten. Die Fußgängerampel stand auf Rot.
    »Gleich wird’s grün«, riefen einige.
    »Gleich wird’s grün«, antworteten andere von der gegenüberliegenden Straßenseite.
    Jemand lachte.
    »Gleich wird’s grün!«
    Dann schaltete die Ampel, das grüne Männchen leuchtete.
    Langsam, im Schlenderschritt, gingen die Jugendlichen auf die Straße. Manche kehrten um, als hätten sie es sich anders überlegt, kehrten erneut um und überquerten im Schneckentempo die Straße. Als die Ampel auf Rot schaltete, waren noch viele auf der Straße. Autos hupten, die Straßenbahn bimmelte.
    »Gleich wird’s grün!«
    Es wurde grün.
    Wieder schoben sich mehrere Hundert Jungs und Mädchen auf die Straße. Langsam. Sehr langsam. Der Fahrer eines lindfarbenen Opel Kadetts schob den hochroten Kopf aus dem Fahrerfenster und schrie, dass man sie alle vergasen sollte.
    »Gleich wird’s grün«, rief ihm Paul zu.
    »Aber nicht für dich«, schrie Strunz.
    Alexander kam ihm mit drei seiner Klassenkameraden entgegen.
    Die Ampel schaltete auf Rot, und noch immer drängten sich dreißig oder vierzig Schüler auf der Straße. Die Straßenbahn bimmelte noch immer, zwei weitere standen dich hinter ihr.
    Polizisten standen plötzlich an den Ecken.
    »Gleich wird’s grün« – nun war es schon ein Chor.
    Ein ziemlich lauter Chor.
    Der Kadett-Fahrer passierte fluchend die Kreuzung. Hinter ihm versuchte ein VW Käfer ebenfalls durchzukommen.
    »Gleich wird’s grün!«
    Dann wälzte sich erneut eine Menschenmenge auf die Straße.
    Fünf Jugendliche setzten sich auf die Fahrbahn. Der Käfer stand mittendrin. Am Steuer ein Mann mit Hut, der stur geradeaus sah.
    Ein Student mit Brille und leuchtend rotem Haar sprach durch ein Megafon: »Gleich wird’s grün. Und wer müde ist, setzt sich auf die Straße.«
    »Gleich wird’s grün«, antworteten ihm die Leute, und bei der nächsten Ampelschaltung setzten sich auch Paul, Strunz, Alexander und dessen Klassenkameraden auf den Zebrastreifen.
    Die Straßenbahnen standen. Die Autos standen.
    Wir sind nicht machtlos!
    Heute ändert sich alles.
    Es geht los.

Mitte
Die Eskalation des Engagements
    Ich war immer ein Rebell,
    weil ich ständig geladen bin.
    Andererseits aber möchte ich geliebt
    und anerkannt werden.
    John Lennon

35. Toni
    Meine erste große Liebe galt uneingeschränkt dem lieben Gott. Morgens, sobald ich die Augen aufschlug, noch bevor ich die Zähne geputzt hatte, kniete ich als Kind vor meinem Bett nieder, hob den Blick und die gefalteten Hände zum Gekreuzigten, der im Dunkeln über mich gewacht hatte, und ich dankte ihm, dass ich in der Nacht nicht gestorben war. Ich dankte ihm, dass meine Mutter, die bereits unten in der Küche rumorte, gesund geblieben war. Dann betete ich für meinen Vater und – mit zunehmendem Alter allerdings immer unwilliger – auch für meine beiden Brüder.
    Wenn je jemand katholisch erzogen worden ist, dann ich.
    Stockkatholisch.
    Meine Eltern wohnten in einem kleinen Dorf im Westerwald. Mein Vater schuftete am Ofen in der Glasherstellung in Höhr-Grenzhausen und brachte als ungelernter Arbeiter wenig Geld nach Hause. Meine Mutter war immer Hausfrau, und bis heute weiß ich nicht, wie die beiden es geschafft haben, drei Kinder großzuziehen. Wurst gab es nur einmal in der Woche, Fleisch selten und wenn, nur am Sonntag. Vater achtete darauf, dass seine

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