Rebellen: Roman (German Edition)
Kinder Butter und Marmelade nur dünn aufs Brot strichen und nie beides zusammen. Vater und Mutter waren tief gläubig, auf eine archaische Art, sie glaubten an den strafenden Gott, an die Hölle, sie versuchten das Fegefeuer zu vermeiden, indem sie den Lehrender Heiligen Mutter Kirche entsprechend lebten, und so erzogen sie auch ihre Kinder. Die Belohnung für eine gute Tat war selten ein gutes Wort, meist bekam ich ein Heiligenbildchen.
Wahrscheinlich hat meine tiefe Kindsfrömmigkeit dazu geführt, dass ich, seit ich denken kann, mein Leben einem hohen Ziel widmen wollte. Als junges Mädchen wollte ich unbedingt Messdiener werden, wie meine Brüder, aber das war damals nur Jungs erlaubt. Und so blieb ein Ziel: Ich wollte Nonne werden, in ein Kloster gehen, mein Leben den Armen widmen.
Im Dorf lebten einige Nonnen. Sie erteilten uns Jüngeren Seelsorgeunterricht, für die älteren Kinder veranstalteten sie im Pfarrhaus Nachmittage, bei denen sie »Benimmregeln« erklärten, sie besuchten die Alten und Bettlägerigen, beteten mit ihnen und halfen im Garten und Haushalt des Pfarrers, vielleicht auch in dessen Bett.
Mir gefiel ihr Leben, die Vorstellung, nur für Gott da zu sein, mir gefiel die radikale Idee der lebenslangen Armut und dabei doch in einer Gemeinschaft von Gleichen verwurzelt und aufgehoben zu sein und gemeinsam einer sozialen Idee zu folgen: den Armen zu helfen. So wollte ich leben. Ich wollte Franziskanerin werden.
Meiner Mutter hat dieser Wunsch gefallen. Wer damals drei, vier oder noch mehr Kinder geboren hatte, gab oft eines in den Schoß der Heiligen Mutter Kirche. Das entlastete den Haushalt, bei einem Mädchen ersparte es die Mitgift, und es vergrößerte gleichzeitig die Chance, Hölle und Fegefeuer zu entgehen.
Ich erinnere mich noch, dass Mutter lächelte, als ich ihr abends meinen Wunsch vortrug, während wir Vaters Arbeitskleider bügelten. Noch in der gleichen Woche suchte sie den Pfarrer auf und besprach alles mit ihm. So steckte sie mich zu Beginn der großen Ferien in mein bestes Kleid,nahm mich früh an der Hand, wir fuhren gemeinsam mit der Eisenbahn erst hinunter nach Koblenz, wo wir umstiegen. Am frühen Abend erreichten wir ein Franziskanerinnenkloster in Bayern.
Wie glücklich ich war, als ich noch am gleichen Abend in der Klosterkirche niederknien und meinem Herrgott danken konnte, dass er es mir erlaubte, nun den Armen zu dienen. Zunächst zwar nur während der großen Ferien, aber ich würde bestimmt wiederkommen und den Rest meines Lebens hier in der Gemeinschaft mit den anderen Nonnen verbringen. Ich schlug das Kreuz, kniete vor dem Altar nieder und eilte leicht und in erhobener Stimmung zu Schwester Hedwig, die sich um mich zu kümmern hatte.
Das Kloster wurde die erste große Enttäuschung meines Lebens.
Die Nonnen aßen jeden Tag Wurst. Jeden Tag, außer freitags! Die Butter durfte ich so dick auftragen, wie ich wollte. Sonntags gab es Braten – jeden Sonntag! Überall lagen dicke Teppiche, im Büro der Äbtissin sogar mehrere aufeinander. Die Nonnen besaßen einen Fernsehraum mit einem Farbfernseher, während bei uns zu Hause nur ein klappriges Schwarz-Weiß-Gerät stand. Das Leben im Kloster war nicht radikal arm, es war gemütlich. Gemütlicher als bei uns zu Hause im Westerwald.
Schwester Hedwig spürte meine Enttäuschung. Sie versuchte mir das Klosterleben auf ihre Art schmackhaft zu machen. Lustig sei es hier. Es werde viel gelacht. Neulich erst hätten sie der Äbtissin einen Streich gespielt und einen mit Wasser gefüllten Zahnputzbecher oben auf die angelehnte Tür gestellt. Als die Äbtissin die Tür geöffnet habe, sei der Becher heruntergefallen und die Äbtissin sei ganz nass gewesen. Schwester Hedwig, die bestimmt die vierzig schon überschritten hatte, schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen und lachte ein Jungmädchenlachen, das ich kindisch fand.
Die Nonnen hier lebten nicht für eine Idee. Sie lebten nicht für die Armen.
Nach vierzehn Tagen reiste ich ab.
Es dauerte ein paar Wochen, bis mir klar wurde, dass die Idee, mein Leben einer sinnvollen Sache zu widmen, nicht falsch war. Das Kloster war nur der falsche Ort. Ich war erst dreizehn. Ich musste weitersuchen.
Ich sah nicht ein, warum ich nicht Messdiener werden konnte. Ich wollte das unbedingt, erstens weil ich Gott dienen wollte. Aber da waren zweitens auch die Geschichten, die meine Brüder erzählten, die beide schon mit neun Jahren Messdiener geworden waren. Sie erzählten, auf
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