Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rebellen: Roman (German Edition)

Rebellen: Roman (German Edition)

Titel: Rebellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
Vom Netzwerk:
gewesen. Als Letzter beim Völkerball ausgewählt worden, solche Sachen. Volksschule im nächsten, etwas größeren Dorf.

    Am Ende der Schulzeit habe es dann im Arbeitsamt in Kiel einen Test gegeben. Mit diesem Test sollte herausgefunden werden, wo seine Neigungen und Stärken lagen. Mischa lachte. »Und der Test brachte ans Tageslicht, dass sich meine Neigungen und Stärken zufällig genau mit dem deckten, was die Industrie an Arbeitskräften brauchte. Ich wurde Schiffsbauerlehrling. Mit vierzehn.«
    Immerhin: Er sei viel an der frischen Luft gewesen. Er habe tagein, tagaus auf einem Gerüst gelegen und Metallplatten zusammengeschweißt und zusammengenietet. Im Winter, nur einen halben Meter über dem Wasser – das war ziemlich hart. Einmal habe ein Kollege, der auf dem Gerüst ein paar Meter über ihm arbeitete, einen Fehler gemacht, und flüssiges Metall sei heruntergestürzt. Mischa schob den Pullover hoch und zeigte ihnen eine Narbe auf seinem Bauch. »Da ist das Zeug rein.« Er drehte sich um und zeigte ihnen eine breite Narbe auf dem Rücken. »Da ist es wieder raus.«
    Als er wieder aus dem Krankenhaus entlassen worden war, habe ihn ein alter Betriebsrat gefragt, ob er nicht als Jugendvertreter kandidieren wolle. Das habe er gemacht, und er sei gewählt worden. Dann erzählte er von den vielen Kämpfen um die Verbesserung der Ausbildung. Darum, dass Ausbildung überhaupt erst mal stattgefunden habe. Er erzählte von dem großen Streik, mit dem sie die Lohnfortzahlung bei Krankheit errungen hatten.
    Es sei dann auch der alte Betriebsrat gewesen, der ihm vorgeschlagen habe, das Abitur nachzumachen. Er habe ihn für einen schlauen Kerl gehalten. Dann Abendschule, sehr hart. Tagsüber schweißen, abends Mathe. Die Kollegen hätten Geld gesammelt, damit er im letzten halben Jahr vor dem Abitur in Ruhe lernen konnte und nicht mehr auf die Werft musste. Er habe es geschafft; 1,6 Notendurchschnitt.
    Jetzt studiere er Soziologie, Industriesoziologie. Die Kollegen hatten auch dafür gesorgt, dass er ein Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung bekam. Sonst hätte er das Studium nie finanzieren können. Nie würde er den Zusammenhalt auf der Werft vergessen. Niemals.
    Die Lehrlinge hörten ihm gern zu. Dann trugen sie das Geschirr in die Küche, Ryder spülte, und Alexander und Paul trockneten ab.

    Mischa konnte erzählen!
    Er erzählte ihnen von Kuba. Seit der Revolution könne dort jeder lesen und schreiben. Es gebe keinen Hunger mehr. Die medizinische Versorgung sei die beste in ganz Amerika, einschließlich der USA . Dort müsse man beim Arzt bezahlen – oder werde nicht behandelt. Sicher, es sei noch viel zu tun, aber die Richtung stimme.
    Er zog ein Buch aus dem Regal. Auf Vorder- und Rückseite waren Muster eines Tarnanzuges abgebildet, schwarz, grün, braun. »Das Verhör von Havanna«. Mischa lieh es Paul aus.
    Er kam jetzt mit dem Lesen kaum noch nach.
    Das offene Fenster ist nur durch einen Stapel von Büchern zu erreichen.
    Er las, was er in die Finger bekam.
    Der Doc schenkte ihm »Das Buch vom Es«. Er solle sich mit Psychoanalyse auseinandersetzen.
    Warum nicht?

    Manchmal dachte er sich aus, wie die Revolution sein würde. Aus dem Eisenbahn-Waisenhort wird ein selbstverwaltetes Jugendheim entstehen. Alle werden dort zufrieden leben, es wird keine Moppels mehr geben.

    Er kaufte sich im Kaufhaus Werner Blust dicke braune, kartonierte Hefte.
    Ab heute schreibe ich Tagebuch. Ich will alles aufschreiben, vom heutigen Tag bis zur Revolution. Ich bin dabei.
    In einem zweiten Heft notierte er die Ergebnisse seiner Lichtexperimente.

    Manchmal arbeitete er in der Lehrwerkstatt an seiner Lichtmaschine. Bis Eislinger auch nach Hause ging. Lichtmaschine – so hat er den Apparat Eislinger gegenüber genannt. Er konnte ihn schlecht Wasserwerferblendungmaschine nennen, obwohl das den Kern der Sache ziemlich genau getroffen hätte.
    Er nahm das Licht aus einer gewöhnlichen Glühlampe, bündelte es durch einen Trichter aus schwarzer Pappe und ließ es auf einen Spiegel prallen, der es gegen einen zweiten Spiegel steuerte.
    Aber es gab Probleme, und er wusste nicht recht, wie er sie lösen sollte. Erstens musste er das Licht viel besser bündeln. Am besten wäre es gewesen, wenn er es wie Wasser in einer schmalen Röhre hätte zusammenpressen können. So aber war der Streuverlust viel zu groß.
    Am Abend ging er, versunken in Gedanken an Lichtbündelung und Streuverluste, über den Hof, als der schwarze Mercedes von

Weitere Kostenlose Bücher