Rebellen: Roman (German Edition)
wollte.
»Drei Produktionsfaktoren sollen es sein«, sagte Paul nun immer sicherer. »Ich sehe in meinem Betrieb jeden Tag Arbeiter schuften. Und auch Angestellte. Aber noch nie habe ich das Kapital produzieren gesehen.«
Lachen. Beifall.
»Beim besten Willen: Ich kann mir keine Gesellschaft vorstellen ohne arbeitende Menschen.«
Kleine Pause.
»Aber eine Gesellschaft ohne Kapitalisten kann ich mir gut vorstellen, das ist ganz einfach.«
Der Jubel war unbeschreiblich.
Wir sprangen alle auf. Es war so einfach. Als wir uns wieder setzten, lag Alexanders Hand auf meinem Oberschenkel. Ich sah ihn überrascht an, und hinter seiner John-Lennon-Nickelbrille blitzten seine Augen mutig – und, nun ja, etwas verliebt.
Ich ließ seine Hand dort liegen.
Den Rest von Pauls Rede habe ich vergessen. Aber ich weiß noch genau, wie wir alle zum Ausgang drängten und Alexander sich bemühte, dicht bei mir zu bleiben.
»Wir könnten einen Kaffee trinken gehen.«
Ich sah mich um. Von Paul war nichts zu sehen. Er würde wohl mit den revolutionären Obermackern in eine Kneipe gehen. Also sagte ich zu.
Wir schlenderten die Straße hinauf zum Bertoldsbrunnen, und ich merkte genau, wie aufgeregt Alexander war.
Ich blieb stehen. »Du«, sagte ich, »diese Bratkartoffeln – sind die wirklich so gut? Die würde ich nämlich gern mal probieren.«
Erleichtert, ein Thema gefunden zu haben, lachte Alexander und sagte, dass das leicht zu arrangieren sei. Paul sei sein bester Freund. Schon seit vielen Jahren. Er wohne in der Hildastraße. Und es seien wirklich die besten Bratkartoffeln der Welt.
Jetzt hakte ich mich bei ihm unter, und wir stolzierten ins Café Ruef.
Der Anfang bestimmt die Struktur. Ich kenne mich aus.
51. Maximilian
Ich wohne noch im Haus meines Vaters, und so, wie die Dinge liegen, denkt Alexander wohl, ich müsste ihm dafür dankbar sein. Aber ich bin ihm noch nie auf den Leim gegangen. Schon als wir noch Kinder waren, habe ich seine Methoden studiert, diesen entsetzlichen Mechanismus der Verantwortungslosigkeit, der so faszinierend sein muss, dass ihm jedermann verfällt, vor allem die Frauen.
Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht grüble: Warum spielt mir das Leben so übel mit? Warum ist es so ungerecht? Ich kenne unseren Vater nur als herzensguten Mann, als jemanden, der freundliche Worte für jedermann hatte. Und Alexander? Haare bis zu den Schultern, ein dämlicher Button auf dem Revers des Armeeparkas, darauf stand, dass der Kommunismus ein Aspirin von der Größe der Sonne sei. Und was machte Vater? Er lächelte! Er musste sich sichtlich dazu zwingen, das schon, aber er lächelte, ohne jede Aggression. Er sprach mit ihm, diskutierte mit ihm über die Rechte der Arbeiter. Über die Nutzlosigkeit der Kapitalisten. Immer lächelte er. Schmerzhaft, soweit ich mich erinnere.
Lächelnd sagte er: »Immerhin habe ich als nutzloser Kapitalist dir die Schulausbildung und das Studium finanziert und auch diese blauen Marx-Engels-Werke, die du so demonstrativ in meinem Haus herumliegen lässt.«
»In deinem Scheiß-Haus«, sagte Alexander. »Das Geld, das du mir gibst, hast du den Arbeitern genommen. Sie, nicht du, ernähren uns, sie, nicht du, zahlen meine blauen Bände und übrigens auch deinen französischen Cognac und Mutters Möselchen.« So redete er.
Wer hat in den Jahren, als Alexander mit der Mao-Bibel die Kaiser-Joseph-Straße rauf und runter lief, in der Fabrik geschuftet? Wer hat Vater zur Seite gestanden, als der Direktor der Deutschen Bank anrief? »Ihr Sohn hat eine Fensterscheibe bei uns eingeschmissen, heute Nachmittag, während der Vietnam-Demonstration.« Die Firma hatte ein Konto bei der Deutschen Bank. Und wir waren auf deren Kontokorrent angewiesen. Wir mussten jede Maschine vorfinanzieren. Wir bekamen das Geld von unseren Kunden erst, wenn die Maschine abgenommen war. Interessierte das meinen Bruder? Der hatte davon keine Ahnung. Der wusste weder von den Vorfinanzierungsproblemen unseres Vaters noch davon, dass er bei dem wichtigsten Kreditgeber der Firma die Scheiben einschmiss. Es war ihm egal.
Er zog ja schon früh aus, aber wenn er zu Besuch kam, hatte er die Peking Rundschau unterm Arm, er drehte an unserem Radio so lange herum, bis er Radio Tirana gefunden hatte. Er wollte Vater treffen, ins Herz. Das hat er dann auch geschafft. Sich in den Vordergrund schieben. Mit all den Lenin-Büsten, den Peking-Opern, dem ganzen Revolutionskitsch, den er in sein altes Zimmer stellte, sodass
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