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Rebellen: Roman (German Edition)

Rebellen: Roman (German Edition)

Titel: Rebellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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die Putzmädchen sich schämten, darin sauber zu machen.
    Aber so war es immer schon gewesen. Auf Familienfesten wurde davon erzählt: Der kleine Alexander konnte mit zwei immer noch nicht reden, nichts außer »Mama« und »Papa«. Dann wurde gelacht und Alexander auf den Rücken geklopft, als sei es eine Heldentat, nicht reden zu können. Im gleichen Alter habe ich schon Holzklötze durch passendeLöcher geschoben. Davon erzählte niemand etwas. Aber dass der jüngste Sohn zu träge war, um sprechen zu lernen, das gehörte zur Familienlegende.
    Für mich hatte Alexander nur Spott übrig.
    Doch Vater wartete auf Alexander. Wartete darauf, dass er in die Firma eintrat. Hilf doch wenigstens mal in den Semesterferien! Kommst du zur Weihnachtsfeier? Zur Verabschiedung von Herrn Rieger? Er würde sich freuen.
    Ich war immer da. In jeden Ferien habe ich in der Firma gearbeitet. Als ich in Karlsruhe studierte, war ich in der vorlesungsfreien Zeit da. Meine Diplomarbeit war nichts anderes als das Pflichtenheft für die ersten Computer und die COMET -Software, die wir in der Firma installierten. Aber das war selbstverständlich. Darüber verlor niemand ein Wort. Auf seine Art war Vater undankbar. Er hing an seinem jüngeren Sohn. Mehr als an mir. Ich, der Ältere, war selbstverständlich da, wie eine abgeschriebene Maschine.
    Er hat sie alle verhext. Meine Mutter auch. Wo wohnt sie jetzt? In meinem Haus. Gut, da hat sie immer gewohnt. Aber ich höre sie täglich fragen: »Wie geht es Alexander? Kommt Toni nicht heute mit den Buben? Kannst du Alexander etwas ausrichten?« Jeden Tag höre ich das. Sie sitzt in ihrem Rollstuhl, raucht den ganzen Tag und kommandiert wie früher. Nur hört ihr niemand mehr zu. Aber ich besorge die Polinnen, die sie morgens aus dem Bett holen und abends wieder hineintragen, die ihr den Hintern abwischen. Oder die Kroatinnen. Je nachdem, wer von den Frauen ihre Launen noch aushält. Mein Herr Bruder lässt sich nicht mehr hier blicken. »Wann kommt Alexander wieder einmal vorbei?«, quengelt Mutter. Elisabeth wird es auch zu viel. Aber wir haben keine Möglichkeit, etwas zu ändern. Ich weiß es, Elisabeth weiß es auch. Und Mutter erst recht.
    Hat Alexander einmal Danke gesagt? Zu mir? Oder zumindest zu Elisabeth? Er sieht seine Mutter nur, wenn wir sie zuihm auf den Berg kutschieren. Sie ist ihm egal. Wir sind ihm egal. Er lässt es uns spüren.
    Ich war in der Firma, seit ich denken kann. Ich kenne sie gut, ich habe sie wahrscheinlich besser gekannt als Vater. Denn ich habe von der Pike auf in jeder Abteilung dort gearbeitet. Und Alexander? Der hat sich doch gedrückt, wo er nur konnte. War mein Herr Bruder einmal in den Ferien im Betrieb? Wahrscheinlich muss man noch dankbar sein, dass er keine revolutionären Pamphlete vor dem Werkstor verteilt hat.
    Heute komme ich mir vor, als sei alles, was ich für Vater, die Familie und die Firma gemacht habe, nutzlos gewesen. Umsonst. Umsonst, im wahren Sinn dieses Wortes. Mein Bruder hat Glück gehabt, das gebe ich zu. Er hat der Firma einen Aufschwung ermöglicht, der Vater fassungslos gemacht hätte, wenn er es erlebt hätte. Ja, er hat Glück gehabt. Er ist ein Spieler, und er hat eine Sechs gewürfelt. Das stimmt. Ich weiß bis heute nicht, wie er das gemacht hat. Aber was ist – das frage ich auch die Mutter –, was ist, wenn er alles wieder verspielt durch einen Fehler. Er ist kein Fachmann. Er ist kein Ingenieur. Ewig geht das alles vielleicht auch nicht gut, sage ich zu ihr.
    Aber sie dreht dann den Rollstuhl, greift in die Räder und redet nicht mehr mit mir.

52. Toni
    Kann es sein, dass zwei Körper sich verhalten, wie Platon die Liebe beschrieben hat, also wie zwei viel zu lang getrennt lebende Hälften, die sich endlich finden, dass sie ineinanderfallen, wann immer sich Gelegenheit bietet? Und dass Worte all dies zerstören können? Keine bösen Worte, sondern liebevoll gemeinte, aufrichtige Worte, Worte, die ich Paul ins Ohr flüsterte, Worte, die rein und unschuldig fast ohne mein Zutun aus mir aufstiegen, neu geborene, noch zu niemandem gesprochene Worte.
    Kann es sein, dass für mich süß war, was für Paul bitter klang?
    Meine gestammelten Liebesbeteuerungen riefen bei ihm keine erkennbare Reaktion hervor. Er hörte mir zu, als würde ich ihm aus der Zeitung vorlesen.
    Mein Gott, ich wusste ja, dass sich bei ihm die Kommilitoninnen die Klinke in die Hand gegeben hatten und wohl immer noch gaben, wenn sie wissen wollten, wie die

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