Rebellen: Roman (German Edition)
erzählte mir, dass Paul und Elli in St. Georgen wohnten, er erzählte mir, dass Paul die Wohnung in der Hildastraße behalten habe und sie als Werkstatt nutze, er erzählte mir, dass er in einer Firma in Müllheim arbeitete und dass er dort zum Betriebsrat gewählt worden sei. Strunz, der Gute, hielt mich auf dem Laufenden, und sicher berichtete er umgekehrt Paul von mir, von Luka, später von der Geburt Emmas.
Dann sahen wir uns.
Zufällig.
Ich schloss die Praxis ab, um in die Markthalle zu gehen und dort zu Mittag zu essen. Aus irgendeinem Grund wählte ich den Umweg über den Münsterplatz, und da kam er mir entgegen. Älter geworden und schöner – fand ich.
Wir redeten nicht viel. Er drehte sich um und ging los, und ich lief nebenher. Bis zur Hildastraße. Gott sei Dank hatte er das Bett dort stehen gelassen.
Wir liebten uns mit der Verzweiflung Hoffnungsloser.
Oft.
Ich hatte ihn wieder.
Die Ehe führt geradewegs in die Enthaltsamkeit.
Es gibt kein besseres Mittel, um enthaltsam zu leben, als zu heiraten.
Das Begehren bleibt nicht bei Ehepaaren. Dies ist ein Naturgesetz der Liebe. Ich weiß es aus vielen Therapiesitzungen mit Paaren, und ich weiß es aus eigener Erfahrung. Irgendwann verflog meine Lust auf Alexander. Ich kämpftedagegen an, aber gegen Naturgesetze ist jeder Kampf aussichtslos. Und schließlich merkte ich, fast erleichtert, dass Alexanders Begehren auch versiegte.
Und trotzdem: Jenseits des Verlangens gibt es eine tiefe Bindung zu Alexander, etwas, das uns unzertrennlich macht und das den Verlust des Körperlichen aufwiegt. Es sind nicht nur die Kinder und erst recht nicht das Haus, was uns zusammenhält. Ich erinnere mich noch gut, wie Alexander um die Firma seiner Eltern gekämpft hat. Wie die Unsicherheit bei uns Dauergast war. Wie es langsam bergauf ging. Wir hatten es eine Zeit lang schwer, aber mein Mann hat nicht aufgehört für uns zu kämpfen. Dafür liebe ich ihn.
Für das andere nehme ich mir Liebhaber.
Aber trotz allem: Paul riss eine Lücke, die niemand und nichts schließen kann. Ich war bei ihm an dem Tag, bevor die Krankheit ausbrach. Wir trafen uns in der Hildastraße, diesem wunderbaren Sündenbabel, und als wir nach der Liebe erschöpft im Bett lagen, erzählte er mir amüsiert, dass er und seine Kollegen den ganzen Tag mit dem Putzen der Produktionsräume zugebracht hätten. Morgen, so die Anweisung der Geschäftsleitung, habe die gesamte Belegschaft mit sauberer Arbeitskleidung anzutreten. Für zehn Uhr sei eine Versammlung anberaumt.
Wir lachten, und ich erinnere mich noch, dass ich seinen grauen Arbeitskittel gebügelt habe. Ich stand nackt am Bügelbrett. »Damit dein Chef mit dir zufrieden ist. Wenn der wüsste, wie dieser Kittel so schön glatt wurde.«
Irgendwann ging ich gut gelaunt.
Es war Strunz, der mich anrief. Paul habe starke Seitenschmerzen gehabt und sei zum Arzt gegangen. Ein paar Tage später kam die Diagnose.
Heute weiß man, dass Nierenkrebs durch Trichlorethylen ausgelöst wird.
Die Berufsgenossenschaft verweigerte die Anerkennung als Berufskrankheit. Die Firma Heppeler wies jede Verantwortung von sich. Vor den Gerichten unterlag Paul. Zwar sei die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der Umgang mit Trichlorethylen den Krebs ausgelöst habe, aber letztlich beweisen könne man es nicht.
Ich hatte ein langes, tränenreiches Gespräch mit Elli.
Und so war ich in seinen letzten Jahren in seiner Nähe.
86. Paul
Paul stand in einer Gruppe von Kollegen weit hinten an der Eingangstür, als der Chef hinter das Rednerpult trat. Er strich sich noch einmal über seinen glatten Arbeitskittel und rief sich das Bild von Toni ins Gedächtnis, die ihn nackt gebügelt hatte.
Etwa hundert Arbeiter und Angestellte standen in der Eingangshalle der Firma. Jede Abteilung bildete einen eigenen Haufen. Die Büroangestellten weiter vorne, die Arbeiter in den dunkelblauen Arbeitskitteln weiter hinten.
Heinz Schulz senior war ein beliebter Chef, ein jovialer runder Mann, der das Unternehmen aufgebaut hatte. Sein Sohn war weniger beliebt. Er galt als überheblich und leichtsinnig, und es war allgemein bekannt, dass er schon zwei große Mercedes des Chefs zu Schrott gefahren hatte.
Paul nahm an, dass die ganze Aufregung, das Maschinenputzen, Bodenschrubben, die Anweisung, heute saubere Arbeitskleidung zu tragen, damit zu tun hatte, dass der Chef die Geschäfte an den Junior übergeben würde. Für den Betriebsrat würden dann härtere Zeiten beginnen. Der Junior
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