Rebellin der Leidenschaft
vergessen, wegen der sinnlichen Freuden, die sie geteilt hatten. Doch es war eben nur das gewesen, sinnliche Freuden, während sie dumm und naiv gedacht hatte, es sei mehr gewesen.
Nicole blickte aus dem Fenster der Kutsche. Ihre in feinen Handschuhen steckenden Hände lagen zu Fäusten geballt in ihrem Schoß. Sobald Stacy fort war, hatte sie sich sofort auf den Weg nach London gemacht. Sie hatte nur Annie mitgenommen und nicht einmal der beunruhigten Mrs. Veig mitgeteilt, wohin sie fuhr. In der Stadt angekommen, hatte sie den Kutscher angewiesen, nach Covent Garden zu fahren. Dort hielt Hadrian sich nie auf, er würde also nie durch Zufall auf seine eigene Kutsche stoßen. Sie befahl dem Fahrer und Annie, dort auf sie zu warten, war in eine Mietkutsche umgestiegen, und nun stand sie vor dem Haus Crawford Street No. 12.
Es fiel ihr ein, dass sich Hadrian gerade jetzt hier aufhalten könnte.
Wenn er hier war, dann würde sie sterben. Nein - wenn er hier war, dann würde sie stark sein. Sie würde ungerührt, kühl, absolut gefasst sein. Sie würde ihn nicht wissen lassen, wie sehr er sie verletzte.
Nicole betrachtete das Stadthaus mit seinem schmiedeeisernen Zaun und der gestrichenen Ziegelfassade kaum. Sie stieg aus der Kutsche aus und bat den Fahrer zu warten. Sie fühlte sich benommen, wie in einem Traum oder betäubt. Langsam ging sie durch die Gartentür hinein und die steinerne Treppe hinauf bis zum Hauseingang, der noch mit einem altmodischen Messingklopfer versehen war.
Ein Butler öffnete sofort.
Nicoles Mund war so trocken, dass sie im ersten Moment kaum ein Wort herausbrachte. »Ich würde gern Miss Dubois sprechen.«
Der Butler bat sie herein. »Wen darf ich melden?«
Sie zögerte. Er hatte nicht gesagt, es gebe hier keine Miss Dubois. Übelkeit überkam sie; sie musste für einen kurzen Moment die Augen schließen. Bisher hatte Stacy also nicht gelogen. Aber sie, Nicole, sie hatte es ja gewusst.
»Das spielt keine Rolle«, gab sie dem Butler zu verstehen, sobald sie sich wieder gefasst hatte. »Sagen Sie Ihrer Herrin einfach, ich sei hier.« Es klang gebieterisch. Wenigstens hatte sie gelernt, wie eine Herzogin aufzutreten - auch wenn es jetzt zu spät dafür war.
Hoch erhobenen Hauptes und mit würdevollen Schritten ging sie an dem Butler vorbei, ihr sündhaft teures Kleid wirbelte um ihre Seidenschuhe. Sie ging direkt in den Salon, setzte sich aber nicht und zog weder Mantel noch Handschuhe aus. Dem Butler blieb nichts anderes übrig, als ihrem Befehl zu folgen.
Während sie wartete, betrachtete Nicole die schöne Einrichtung: stilvolle Möbel, persische Teppiche, geschmackvolle Tapeten und Landschaftsbilder. Miss Dubois lebte nicht schlecht. Sie lebte deutlich besser, als es einer Schauspielerin unter normalen Umständen möglich war.
Einige Minuten später trat eine Frau ein. »Sie wollen mich sprechen?«, fragte sie.
Nicole wandte sich um.
Vor ihr stand eine kleine, zierliche Frau in einem wunderschönen, teuren Kleid, das allerdings für einen Vormittag im Haus zu tief dekolletiert war. Sie war von exquisiter Schönheit, so schön wie eine Frau nur sein konnte. Erstaunt blickte sie Nicole aus blauen Augen an, doch als diese auf sie starrte und die Wahrheit sie traf wie ein Vorschlaghammer, verschwand die Verwirrung aus Holland Dubois’ Katzenaugen.
»Oh Gott«, stieß Hadrians Mätresse hervor, »Sie sind es! Oh mein Gott!«
Einen langen Augenblick blieb Nicole reglos stehen.
»Euer Gnaden«, sagte Holland schließlich aufgeregt, »ich bin mir nicht sicher, was Sie wollen, aber bitte, nehmen Sie doch Platz!«
Nicole hatte genug gesehen. Rasch, bevor die andere Frau womöglich bemerkte, dass ihre Augen feucht wurden, ging sie an ihr vorüber und auf den Flur zu.
»Warten Sie!«, rief Holland Dubois. »Weshalb sind Sie denn gekommen? So warten Sie doch!«
Nicole blieb nicht mehr stehen. Mit langen Schritten ließ sie den Flur hinter sich und eilte zur Tür hinaus. Irgendwie schaffte sie es bis zu der Kutsche, aber sie hatte kaum darin Platz genommen, als die Tränen sie überwältigten, und mit ihnen rannen all ihre Träume in den Staub zu ihren Füßen.
32
Hadrian lehnte sich in seinem Sitz nach vorn und schaute aus dem Fenster seiner Kutsche auf sein Haus. Spannung marterte ihn.
Vor vier Tagen hatte er Clayborough verlassen. Vor vier entsetzlich langen Tagen. Er war nicht im Zorn weggefahren, wenngleich er auf Nicole noch einigermaßen wütend war, weil sie sich durch das
Weitere Kostenlose Bücher