Rebellin der Leidenschaft
auf die Lippen. Rasch kramte sie aus ihrer Kommode ein weit geschnittenes weißes Hemd und Reithosen. Gestern Abend war sie zornig gewesen, doch an diesem Morgen war sie seltsam erregt, fast hochgestimmt.
Natürlich war sie immer noch wütend. Es war der Gipfel an Arroganz, dass der Herzog nach allem, was passiert war, nach seiner kaltherzigen Einschätzung ihrer Person, seinem unverhohlenen Interesse an ihr und schließlich seiner kühlen Zurückweisung so einfach zum Abendessen erschienen war. Und dann noch die Freiheiten, die er sich in der Bibliothek herausgenommen hatte, fast Tür an Tür mit ihren Eltern! Doch wenn sie den Mut aufbrachte, der Wahrheit ins Auge zu sehen, dann musste sie auch über ihre Reaktion auf seine Avancen nachdenken - sie hatte ja nahezu widerstandslos kapituliert. Wenn sie daran dachte, überkam sie Wut, Scham und das Gefühl der Erniedrigung. Wollte er sie demütigen, indem er sie verführte? Es würde sie nicht weiter verwundern, jetzt, da sie seinen skandalösen Ruf als Frauenheld kannte. Offenbar hatte dieser Mensch keine Moral und überhaupt kein Ehrgefühl. Nicole hatte vor, ihm zu sagen, was sie von seinem abscheulichen Verhalten hielt.
Sie zog sich an und stürmte die Treppe hinab. So früh waren nur die Dienstboten unterwegs. Ihre Mutter schlief meist bis gegen acht, was für eine Lady noch immer ziemlich früh war. Nicoles Magen krampfte sich vor Erwartung zusammen; noch nicht einmal eine Tasse Tee konnte sie zu sich nehmen. Stattdessen raste sie zur Scheune und sattelte mit einem der Stallburschen ihren großen braunen Vollblüter.
Dann preschte sie davon. Die frische Morgenluft ließ den bevorstehenden Herbsteinbruch erahnen. Am Ende der Zufahrt lenkte sie ihr Pferd auf die Wiesen und setzte mühelos über eine Steinmauer. Auf der nächsten Wiese stoben die Schafe und Lämmer auseinander und sie lachte über ihre lustigen Sprünge. Auch die nächste Mauer überwand sie dank ihrer hervorragenden Reitkünste problemlos. Dann ging es durch die Wälder. Unter den donnernden Pferdehufen wirbelte das goldbraune Laub auf. Eine Meile weiter zügelte Nicole ihren Braunen. Sie waren am Rand der herzoglichen Wiese angekommen; vor ihnen lag Chapman Hall.
Ihr Herz pochte wie wild, ihre Wangen waren gerötet von ihrem kühnen Ritt. Der Hengst schnaubte ungeduldig, er wollte weiterrennen. »Später«, vertröstete ihn Nicole und streichelte seinen warmen Hals. Mit glänzenden Augen trieb sie ihn weiter an.
Trotz der frühen Stunde ertönten aus der Scheune Hammerschläge; offenbar arbeiteten dort schon ein paar Zimmerleute. Nicole ritt direkt zum Haus und stieg ab. Sie band die Zügel ihres Braunen an einem Pfosten fest, dann klopfte sie mit dem Messingknauf laut an die Tür.
Nichts rührte sich.
Zunehmend beunruhigt klopfte Nicole mehrere Male. Vielleicht war der Herzog ja nicht zu Hause, aber seine Dienstboten mussten doch da sein! Aber das Haus wirkte leer und verlassen.
Schließlich holte Nicole verstimmt ihr Pferd und marschierte zur Scheune. Vielleicht war er dort und beaufsichtigte seine Arbeiter; wenn nicht, dann würden sie ihr sicher sagen können, wo er steckte. Er konnte sich schließlich nicht in Luft aufgelöst haben.
Sie band ihr Pferd am Stall fest, dann trat sie ein. Ihre Augen mussten sich erst an das Dämmerlicht gewöhnen. Die beiden Arbeiter hielten inne und drehten sich zu ihr um. »Ich suche den Herzog«, sagte sie. Sie kannte die beiden, sie kamen aus Lessing, dem Nachbardorf. Dennoch fühlte sie sich unwohl bei dem unverhohlenen Gaffen der beiden. Sie kam eigentlich nie mit Arbeitern in Kontakt, es sei denn unterwegs mit ihrem Vater und Chad. Natürlich war sie sich klar, dass sie Männerkleidung trug und ohne Begleitung, also schutzlos war.
»Er ist nicht da«, sagte einer der Männer und blinzelte sie an.
Der Jüngere richtete sich auf und grinste anzüglich. »Er ist nicht da, aber wir schon.«
Nicole bedachte ihn mit einem Blick, der deutlich zu verstehen gab, dass er sich seine unverschämten Gedanken sparen könne. »Wo ist er? Warum geht in Chapman Hall niemand an die Tür?«
Der Jüngere, sein Name war Smith, wenn sie sich recht erinnerte, schlenderte auf sie zu. »Hier ist sonst niemand! Deshalb kommt auch keiner an die Tür, Miss!«
»Niemand?« wiederholte sie ungläubig.
»Der Herzog und seine Dienstboten sind weg«, meinte der Ältere schließlich.
»Und warum sind Sie so interessiert an Seiner Gnaden?« Smith grinste wissend.
Nicole
Weitere Kostenlose Bücher