Rebellin der Leidenschaft
ankleidete.
»Guten Morgen, Mutter!«, sagte sie zögerlich, denn instinktiv spürte sie, dass etwas nicht stimmte.
»Aldric meinte, du hättest noch nichts gegessen.« Jane lächelte. Sie wirkte ein wenig müde, als habe sie nicht sehr gut geschlafen. »Setz dich doch zu mir, mein Schatz.« Jane schenkte ihr eine Tasse Tee ein und reichte sie ihr.
»Ich habe heute keinen rechten Hunger.«
»Geht es dir gut?«
»Ja! Warum fragst du?«
»Ich konnte nicht umhin zu bemerken, dass du heute nicht mit deinem Vater und Chad ausgeritten bist.«
»Ich - ich war noch etwas müde.«
Jane nickte und bestrich ein warmes Muffin mit Butter. Sie reichte ihrer Tochter eine Hälfte. »Hast du deinen morgendlichen Ritt genossen?«
Nicole errötete.
»Mehr oder weniger.«
Jane legte das Muffin auf den Teller, ohne davon abgebissen zu haben. »Nicole, wo warst du?«
Nicole gelang es nicht, ihrer Mutter in die Augen zu sehen. Sie lief tiefrot an. »Hier und dort«
»Auch in Chapman Hall?«
Nicole schluckte. »Wie kommst du denn darauf?«
»Vielleicht sollten wir uns einmal unterhalten«, sagte Jane sanft.
»Worüber denn?«, rief Nicole voller Panik.
»Offensichtlich ist da etwas zwischen dir und dem Herzog.«
»Mutter - da täuschst du dich!« Nicole wollte aufstehen, doch Jane hielt sie zurück.
»Dann bin ich aber froh, denn er ist verlobt und wird seine Verlobte bald heiraten. Diese Verlobung wird er nicht lösen, Nicole«, sagte Jane sanft.
Nicole wusste das natürlich, doch die Worte schmerzten trotzdem. »Es ist nichts zwischen uns«, sagte sie gepresst. »Ich verachte ihn, wenn du es genau wissen willst. Er ist ein arroganter, aufgeblasener Wicht.«
Jane war sichtlich schockiert.
Nicole starrte ihre Mutter an. »Reist du denn heute wieder nach London?«
»Ja, heute Nachmittag. Ich finde es nicht richtig, Regina alleine zu lassen, auch wenn Lady Henderson bei ihr ist. Schließlich sollte ich sie auf ihre ersten Bälle begleiten.«
Nicole befeuchtete sich die Lippen. »Ich komme mit. Ich fange gleich zu packen an.«
Jane blickte sie verständnislos an. »Aber du kommst doch nie mit in die Stadt. Ich dachte, du hasst London?«
»Jetzt nicht mehr«, verkündete Nicole und stand auf. »Das Landleben langweilt mich, ich muss raus, ich muss wieder unter Menschen, findest du nicht auch?« »Das haben dein Vater und ich uns immer gewünscht«, erklärte Jane, auch wenn sie sich sehr wunderte. »Es ist nicht gut für dich, sich so aufs Land zurückzuziehen.«
»Ich bin im Handumdrehen fertig«, erklärte Nicole, schenkte ihrer Mutter ein strahlendes Lächeln und stürmte aus dem Zimmer.
Jane sah ihr nach. Auch sie lächelte. Ihre Tochter brauchte das, sie musste sich wieder in der Gesellschaft bewegen, wo sie vielleicht doch noch einen passenden Gatten kennen lernen oder vielleicht sogar die Liebe finden würde. Und wenn der Herzog von Clayborough in Chapman Hall weilte, war es umso besser, dass Nicole zusammen mit ihr nach London zu Regina reiste. Noch immer lächelnd griff Jane nach ihrem Muffin und biss herzhaft zu.
7
Der Herzog kam an diesem Nachmittag in London an und begab sich sogleich in seine Stadtresidenz am Cavendish Square. Clayborough House bot einen imposanten Anblick. Es zog sich über die ganze Nordseite der Grünanlage. Anfang des achtzehnten Jahrhunderts war es für den ersten Herzog von Clayborough erbaut und seitdem mehrmals umgebaut worden. Inzwischen war es bis auf sechs Etagen angewachsen. Die Front hatte hundert Fenster und drei Türme. Das Dach ließ das Gebäude noch größer erscheinen, denn es umfasste drei riesige, hoch in den Himmel ragende Giebel mit mehreren zusätzlichen Stockwerken. Auf jedem prangte überdimensional groß das Clayborough-Wappen. Von der Straße war die Residenz durch eine imposante, raffiniert angelegte Steinbalustrade getrennt, die nur dort eine Lücke aufwies, wo sich die steinerne Treppe befand, die breit genug war, um einem Dutzend Gäste Raum zu bieten, falls diese alle gleichzeitig eintreten wollten.
Der Herzog hatte einige seiner Dienstboten schon gestern Nacht gleich nach dem Essen in Dragmore nach London geschickt, und jetzt begrüßte ihn Woodward an der Tür. Der Herzog wies ihn an, ihm zu folgen, und sie gingen einen mit schwarzen und weißen Marmorfliesen ausgelegten Korridor hinab zur Bibliothek, in die halb Chapman Hall hineingepasst hätte. Er ging an seinen Schreibtisch, zog eine Visitenkarte aus der Tasche und verfasste rasch eine kleine
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