Rebellin der Leidenschaft
begriff nicht recht, was sie soeben gehört hatte. »Weg? Aber wohin denn?«
»Nach London«, sagte der Ältere.
»Nach London«, wiederholte Nicole, die diese Information erst allmählich verdaute. »Wann kommt er denn zurück?«
»Das hat er nicht gesagt.«
»Aber während Sie drauf warten, dass er zurückkommt, bin ich ja noch da«, sagte Smith und kam immer näher.
»Zum Teufel mit dir!«, fauchte Nicole zur Überraschung der beiden. Sie wirbelte herum und rannte aus der Scheune, wobei sie immer nur das eine denken konnte, ohne es recht zu begreifen: Der Herzog ist weg! Hastig stieg sie auf ihr Pferd und trieb es zu einem schnellen Trab an.
Sie konnte sich nichts vormachen: Sie fühlte sich völlig leer.
Ebenso abrupt, wie er in ihr Leben getreten war, war er jetzt wieder verschwunden. Früher hatte es nur ihre Familie, ihre Pferde, ihre Bücher und Dragmore gegeben, dann plötzlich war der golden schimmernde, männliche Herzog aufgetaucht - und jetzt war er wieder weg.
Eigentlich sollte sie erleichtert sein, eigentlich sollte sie sich freuen. Doch nichts dergleichen fühlte sie, sie war nur zutiefst enttäuscht.
»Was ist mit dir los?«, fragte sie sich laut. »Bist du jetzt wirklich völlig übergeschnappt? Er hegt nur die unehrenhaftesten Absichten, er wird demnächst eine andere heiraten, und du bist traurig, weil er weg ist?«
Doch die Vernunft konnte weder das seltsame Zittern ihres Körpers beschwichtigen noch ihre Laune heben.
Auf dem Waldpfad ließ sie ihren Hengst nur noch im Schritt gehen. Als sie ein paar Minuten später an das munter dahinplätschernde Bächlein kam, überfiel Nicole die Erinnerung, wie sie hierher geritten waren und wie er sie geküsst und berührt hatte. Sie brachte ihr Pferd zum Stehen, stieg ab, kniete sich an den Bachlauf und hielt die Hände in das eisige Wasser.
Das Leben war nicht immer fair, aber das wusste sie ja schon seit längerem. Warum war sie jetzt so betrübt? Gestern Abend hatte er doch gesagt, er würde in einigen Tagen nach London abreisen. Gestern Abend - wegen gestern Abend war er schon jetzt abgereist!
Nicole richtete sich auf. Sicherlich trug sie daran Schuld, weil sie ihn so gereizt hatte. Aber schließlich hatte er angefangen, schon allein damit, dass er nach Dragmore gekommen war. Dies hätte er durch eine geschickte Entschuldigung wirklich vermeiden können. Allerdings drückte sie sich nie vor einer Auseinandersetzung, und in diesem Fall hatte sie die Kampfansage sogar ausgesprochen gern angenommen und den Kampf genossen.
Doch welche Rolle spielte das nun? Er war nicht für sie bestimmt und würde es auch nie sein. Das Äußerste, was sie von ihm erhoffen konnte, waren ein paar Küsse oder - schlimmer noch - eine Einladung in sein Bett. Bei diesem Gedanken errötete Nicole. Ladys unterhielten sich selbstverständlich nie über Sex, aber sie begriff im Großen und Ganzen, worum es dabei ging; schließlich war sie auf dem Land aufgewachsen und hatte auch einmal gesehen, wie ein Hengst eine Stute bestiegen hatte. Es war schockierend, aber auch aufregend gewesen. Sie hatte noch nie einen nackten Mann gesehen, aber sie hatte die Männ-lichkeit des Herzogs gespürt, als er sich an sie gepresst hatte, und sie konnte sich in etwa vorstellen, wie ein nackter, erregter Mann aussah, wie er sich in ihr anfühlen würde. Es wurde ihr recht warm, und sie streichelte den Hals ihres Pferdes, um sich auf andere Gedanken zu bringen, denn sie wusste, dass sie sich solcher Fantasien eigentlich schämen müsste. Aber das tat sie nicht im Geringsten, und darin lag das eigentliche Problem.
Natürlich würde sie nie mit ihm schlafen; es sich vorzustellen, war das Äußerste. Und auch seine Küsse, seine gefährlichen, glühenden Küsse würde sie nie mehr empfangen. Ihre Kehle schnürte sich zusammen, sie hatte fast das Gefühl, ersticken zu müssen.
Schließlich fasste sie sich wieder. »Es ist besser so«, erklärte sie ihrem Hengst, der an einem Grasbüschel knabberte. Sie stieg hastig in den Sattel, trieb ihn zu einem leichten Galopp an und ritt durch, bis sie Dragmore erreicht hatten. Dort übergab sie das Pferd einem Stallknecht und eilte zurück ins Haus, wobei sie sich bemühte, an gar nichts zu denken.
Als sie am Speisesaal vorbeikam, rief Jane nach ihr. Nicole wunderte sich, dass ihre Mutter schon so früh auf war und am Tisch saß. Normalerweise nahm sie ihren Frühstückstee und ein paar Muffins in ihrem Zimmer ein, während sie sich
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