Rebellin der Leidenschaft
beschäftigte, was für einen Adligen, gleich welchen Ranges, für unangemessen galt, hatte er nicht die geringste Neigung, den Konventionen die Stirn zu bieten.
Der Herzog merkte, dass er sich in seinem Bad nicht entspannte, sondern ziemlich durcheinander und inzwischen schon fast wieder wütend war. Wenn er an ihr Wortgefecht am Vorabend und an ihre körperliche Auseinandersetzung - wie hätte er diese vergessen können? - dachte, war er sich nicht sicher, ob er nun auf Nicole wütend war oder auf sich selbst. Mit seiner strikten Selbstbeherrschung und seinem eisernen Willen war es jedenfalls nicht weit her, zumindest nicht, wenn es um Nicole Shelton ging.
Er wurde immer unruhiger und schließlich stieg er aus der Wanne. Das Wasser perlte an seinem nackten, kraftvollen Körper ab.
Mit der Zeit würde ihre Anziehungskraft nachlassen, befand er schließlich. Sie war jetzt in Dragmore, und er hatte sich vorgenommen, erst dann wieder nach Chapman Hall zurückzukehren, wenn er keinerlei Interesse mehr für sie verspürte. Offenbar war er, so zuverlässig und vertrauenswürdig er sein Leben lang gewesen war, das nicht mehr in Bezug auf diese Frau. Hatte er etwa doch Spuren von Francis’ verachtungswürdigem Charakter in sich?
Soeben hatte er sich bedächtig mit einem dicken Handtuch abfrottiert, doch als ihm dieser Gedanke in den Sinn kam, erstarrte Hadrian. Ihn fröstelte.
Er war sich nicht ganz sicher, wann er angefangen hatte, seinen Vater zu hassen, in seiner Erinnerung aber hatte er ihn immer gehasst. Schon als sehr kleines Kind hatte er gemerkt, dass sein Vater ständig mit der Mutter stritt, und mit vier hatte er sich seine erste Ohrfeige eingehandelt, als er versucht hatte, Isobel zu schützen. Der Schlag hatte ihn verletzt, aber der Schmerz war nichts gewesen im Vergleich zu der schrecklichen Angst, die ihn daraufhin befallen hatte; nicht nur Angst um sich, sondern auch Angst um seine Mutter.
Denn als Isobel hatte mit ansehen müssen, wie ihr Kind verletzt wurde, hatte sie sich wutentbrannt auf Francis gestürzt und versucht, ihm das Gesicht zu zerkratzen. Hadrian, der von der Ohrfeige noch immer wie vom Donner gerührt war, musste erleben, dass es den Vater keinerlei Mühe kostete, Isobels Angriff abzuwehren, und schließlich schlug er so heftig zu, dass sie zu Boden sank. Dann hatte er lachend den Raum verlassen und sie dabei als Hure beschimpft. Hadrian war weinend zu seiner Mutter gekrochen. Isobel hatte sich aufgerichtet, ihn umarmt, getröstet und gesagt, dass alles in Ordnung sei, doch in Hadrian war damals ein brennender Hass auf den Vater entstanden, der ihn sein Leben lang begleiten sollte.
Damals hatte er kaum wahrgenommen, dass seine Mutter ihm befahl, sich nie wieder bei einem Streit der Eltern einzumischen. Er war viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, sich den Tod seines Vaters zu wünschen. Doch dieser Wunsch erfüllte sich erst zweiundzwanzig Jahre später.
Nein, er war nicht so gewalttätig wie Francis, fand Hadrian; schließlich hatte er noch nie in seinem Leben einem Kind oder einer Frau etwas zuleide getan. Er trank nicht und er spielte nicht, und er verspürte auch nicht die geringsten Neigungen zu anderen jungen Männern.
Allerdings hatte auch Francis in jungen Jahren Frauen bevorzugt und sich erst später Vertretern seines eigenen Geschlechts zugewandt. Zwar hätte ein Gentleman sich Nicole gegenüber nie so verhalten, wie er es gestern Abend getan hatte, aber sein Vater hätte dies zweifellos getan, ohne die geringsten Skrupel zu hegen.
Der Herzog dachte an die physische Anziehung zwischen ihnen auf dem Hof von Chapman Hall, als er sie gegen die Scheunenwand gedrückt hatte, nachdem sie ihn mit ihrer Peitsche geschlagen hatte. Er hatte sie nicht so grob unterwerfen wollen, und doch hatte er es getan.
Er fürchtete sich vor dieser Seite seines Selbst, die da zu Tage getreten war, eine dunkle Seite, von deren Existenz er bislang nichts geahnt hatte. Keine andere Frau hatte je diese Seite ans Tageslicht gebracht, und das war ein Grund mehr, sich von Nicole Shelton fern zu halten.
Er war mit Elizabeth verlobt, seiner Cousine, einer äußerst netten, reizenden jungen Lady, die er schon fast sein ganzes Leben lang kannte. Er würde ihr nie wehtun. Er würde nie von seiner Verpflichtung zurücktreten und seine oder ihre Ehre verletzen. Warum also hatte er gestern Abend in Dragmore das Schicksal herausgefordert? Wäre er mit Nicole Shelton ertappt worden, dann wäre er gezwungen
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