Rebellin der Leidenschaft
vor einem Dutzend Gäste auf Castleton mit Worten durchbohrt hatte wie mit einem Schwert. Sie war damals sogar so weit gegangen, sie als Persona non grata zu bezeichnen, und zwar im vollen Wissen, dass Nicole jedes ihrer Worte hörte. Doch jetzt lächelte sie, als hätte es jenen Abend nie gegeben.
»Ach, all die vielen Skandale!«, seufzte sie, hielt ihr Lorgnon hoch und musterte Nicoles Kostüm. »Ja«, verkündete sie sodann und nickte, »jetzt verstehe ich auch, warum der Herzog Ihr Kostüm so einzigartig fand. Kommen Sie doch bitte bei mir vorbei, wenn es Sie wieder einmal in die Nähe von Hazelwood verschlägt, und richten Sie dem Grafen und der Gräfin meine besten Grüße aus!« Sie tätschelte Nicoles Hand höchst freundlich und wandte sich wieder von ihr ab.
Nicole war verblüfft - und wütend. Sie machte sich nichts vor. Die Marquise hatte sie nur nach Hazelwood eingeladen, weil der Herzog sie wohlwollend zur Kenntnis genommen hatte. Innerlich schäumte sie. Hätte sich die Marquise so freundlich gezeigt, wenn der Herzog heute Abend nicht hier gewesen wäre oder ihr Kostüm nicht gebilligt hätte? Ganz gewiss nicht!
Nicole nippte an ihrem Champagner und schlenderte durch die Menge; dabei hielt sie verstohlen nach dem Herzog Ausschau und hoffte, dass sie ihm noch einmal begegnen würde. Zu ihrer Verwunderung kamen viele Gäste auf sie zu und luden sie ein, doch sie konnte sich nicht richtig darüber freuen. Zum ersten Mal merkte sie, wie groß die Macht war, die ein Mensch wie der Herzog ausübte. Seine Worte hatten ehrlich geklungen, auch wenn er sicher nicht weiter darüber nachgedacht hatte. Dennoch war es plötzlich, als hätte es den Skandal nie gegeben.
»Sie wirken nicht besonders glücklich, Lady Shelton«, erklang plötzlich hinter ihr seine tiefe Stimme.
Nicole stockte der Atem. Sie wirbelte so rasch herum, dass der Champagner über den Kelchrand schwappte. Er stand so nahe bei ihr, dass ihre Brüste, die unter der Seidenbluse nur in einem dünnen Hemdchen steckten, seinen Arm streiften. Entsetzt und errötend trat sie hastig zurück und verschüttete dabei noch mehr Champagner.
Er nahm ihr das Glas mit einem Blick ab, der nur schwer zu deuten war. Seine Augen waren nicht dunkelbraun, wie sie anfangs angenommen hatte, sie funkelten golden wie Sherry. War er etwa amüsiert?
Dabei streifte seine Hand die ihre und schien direkt ihre Seele zu streicheln. Die brannte wie Feuer.
»Lassen Sie mich Ihr Glas auffüllen«, sagte er, brauchte sich jedoch nicht zu rühren, denn hinter ihm tauchte sofort ein Diener mit einem Tablett voll perlender Champagnerkelche auf. Der Herzog nahm sich ein Glas und reichte ihr ebenfalls eins. »Warum sind Sie so verärgert?«, fragte er.
Nicole rang um Fassung. »Eigentlich bin ich nicht verärgert«, sagte sie, ihre Worte sorgfältig wählend. Aus der Nähe war er noch umwerfender als von fern und verwirrte sie noch heftiger. Entsetzt ertappte sie sich dabei, auf seinen Mund zu starren und sich vorzustellen, wie es wäre, von ihm geküsst zu werden.
»Im Moment sind Sie jedenfalls nicht verärgert«, sagte er und ließ seinen Blick langsam an ihr herab wandern.
Etwas in seiner Stimme entlockte ihr eine spontane Reaktion, etwas Intimes, das Nicole nicht definieren konnte, denn dafür war sie zu unerfahren. Sie fühlte, wie sich ihre Brüste zusammenzogen, als hätte er sie berührt. »Jetzt bin ich nicht verärgert«, sagte sie atemlos.
Seine Stimme war rauchig, wie ein sanftes Streicheln. »Gut! Es wäre mir nämlich gar nicht recht, wenn Sie wütend auf mich wären. Jetzt nicht - wo wir uns doch gerade erst kennen gelernt haben!«
Hinter seinen Worten lag ein Sinn, ein tieferer Sinn, doch Nicole hatte Angst, ihn zu entschlüsseln. Wäre seine Miene doch nur weniger teilnahmslos, weniger kontrolliert gewesen! Sie war undurchdringlich. Nicole hatte nicht die geringste Ahnung, was in ihm vorging oder warum er sich zu ihr gesellt hatte. Doch als sich ihre Blicke trafen, schlug ihr Herz einen Purzelbaum.
»Ich könnte nie wütend auf Sie sein«, hörte sie sich sagen. Wieder errötete sie, denn sie fand, dass sie wie eine kokette, einfältige junge Dame klang, genau der Typ Frau, den sie nicht ausstehen konnte.
»Nun ja, aber man sollte auch die andere Seite bedenken, denn ich stelle mir vor, dass Ihr Zorn genauso ist wie alles an Ihnen, ungewöhnlich und anregend.«
Sprachlos starrte sie ihn an. Was hätte sie darauf erwidern sollen? Sie konnte sich
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