Rebellin der Leidenschaft
sich meist noch vor Mitternacht zurück. Er kümmerte sich beständig um seine geschäftlichen Angelegenheiten und alle wussten, dass er bis tief in die Nacht an seinem Schreibtisch saß und arbeitete. Dies erforderte natürlich große Disziplin, doch darüber hinaus war er auch von einem brennenden Ehrgeiz getrieben, den er von seiner Mutter geerbt hatte.
Die de Warennes waren bekannt für ihren Geschäftssinn, mit dem auch die Herzoginwitwe reichlich gesegnet war. Als der junge Herzog anfing, sich mit den geschäftlichen Angelegenheiten seiner Familie zu befassen, arbeitete er eng mit seiner Mutter zusammen und staunte, wie sie es geschafft hatte, die Angelegenheiten die letzten zwei Jahrzehnte ohne die geringste Hilfe ihres Ehemannes zu regeln.
An diesem Abend war er leicht verärgert, dass es so spät geworden war, denn er hatte am nächsten Tag viel vor und wollte wie üblich bei Tagesanbruch aufstehen. Doch auch er besaß keine übermenschlichen Kräfte, obgleich es ihm viele nachsagten, und wenn er nicht bald ins Bett käme, würde er morgen si-cher müde sein. Der heutige Abend war wieder einmal eine reine Vergeudung von Zeit und Kraft gewesen.
ln Chapman Hall wurde er von seinem Butler Woodward und seinem Kammerdiener Reynard erwartet. Jake, sein oberster Lakai, begleitete ihn. Woodward nahm ihm seinen schwarzen, karmesinrot gefütterten Umhang ab, ohne dass der Herzog dies überhaupt bemerkte. »Haben Euer Gnaden noch einen Wunsch?«
»Gehen Sie ins Bett, Woodward!« Er gab ihm mit einem Wink zu verstehen, dass er ihn nicht mehr brauchte. Eigentlich war dieser Abend ja doch keine reine Zeitverschwendung gewesen, dachte er, wobei sich sein Puls beschleunigte. »Und Sie brauche ich auch nicht mehr, Reynard. Danke, Jakes. Gute Nacht!«
Reynard und Jakes zogen sich zurück, doch Woodward hüstelte, und der Herzog blieb, fragend eine Braue hochziehend, am Treppenansatz stehen.
»Heute Abend traf die Herzoginwitwe bei uns ein, Euer Gnaden. Wir hatten nicht mit ihr gerechnet, aber wir brachten sie behelfsmäßig im blauen Raum im Westflügel unter. Dieses Zimmer schien uns noch im besten Zustand zu sein, Euer Gnaden.«
»Gut gemacht«, erwiderte er. Stirnrunzelnd stieg er die Stufen hinauf. Was in aller Welt wollte seine Mutter von ihm? Er wusste, dass es sich nicht um einen Notfall handeln konnte, denn dann hätte die Herzoginwitwe noch auf ihn gewartet, egal, zu welcher Stunde er heimgekehrt wäre. Doch ihr persönliches Anwesen befand sich in Derbyshire - der Weg hierher war recht beschwerlich. Und falls sie aus London gekommen war, hatte sie auch fast einen halben Tag für die Reise auf sich nehmen müssen. Sie war also sicher nicht auf einen kleinen Plausch vorbeigekommen, offenbar hatte sie etwas Wichtiges auf dem Herzen.
Aber es würde bis morgen warten müssen. Morgen! Sein Körper spannte sich an. Würde die unglaublich verführerische Lady Shelton »vorbeikommen«? Ein Lächeln umspielte seine Lippen, das erste richtige Lächeln an diesem Abend, das er nur in der Abgeschiedenheit des herrschaftlichen Schlafzimmers zeigte und nur gegenüber seinem Barsoi, der seinen Herrn mit begeistertem Schwanzwedeln begrüßt hatte.
Clayborough zog sich aus. Er war noch immer verblüfft, dass sie zugegeben hatte, privat ebenso unkonventionell zu sein wie in der Öffentlichkeit. Zum wiederholten Mal stellte er sie sich nackt in seinem Bett vor, über ihm, ihn mit ihrer wilden Zigeunerleidenschaft verzehrend. In seiner Fantasie war er passiv, etwas, was er sein Leben lang nie gewesen war, doch diese Vorstellung erregte ihn geradezu unerträglich, obwohl er kein Mann war, der sich gerne Tagträumen hingab.
Sie war mehr als unkonventionell - sie war kühn, ja tollkühn. Natürlich wusste er, dass sie irgendwie mit dem Grafen von Dragmore verwandt war, den er kannte, bewunderte und achtete. Nicholas Shelton war ihm sehr ähnlich, ein harter, disziplinierter Arbeiter und gewitzter Geschäftsmann. War sie seine Schwiegertochter? Oder eine Cousine?
Offenbar war sie verheiratet, denn sie war über das Debütantinnenalter hinaus, und ihre kühne Art, vor allem, dass sie ohne Begleitung und in einem solchen Kostüm erschienen war, bestätigte diese Annahme. Der Herzog war es gewohnt, dass sich ihm verheiratete Frauen anboten. Zwar frönte er weder dem Alkohol noch der Spielleidenschaft oder anderem nichtsnutzigen Zeitvertreib, doch er hatte es nur selten geschafft, eine schöne Frau
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