Rebellin der Leidenschaft
zurückzuweisen.
Selbstverständlich hatte er auch eine Mätresse, aber diese Beziehungen langweilten ihn rasch, so dass sie nie von langer Dauer waren. Er war sich seines Rufes eines rücksichtslosen Frauenhelden bewusst, aber das war ihm gleich; immerhin frönte er nicht den gleichen Leidenschaften wie sein verstorbener Vater.
Lady Shelton war sicher eine hervorragende Geliebte, das spürte er, auch wenn er sie kaum kannte. Leider konnte er sie nicht offiziell dazu machen, da sie verheiratet war. Er musste sich also mit einer kurzen Affäre begnügen. Meist waren seine Affären mit verheirateten Frauen noch kürzer als die Beziehungen zu seinen Mätressen. Er fand einfach zu selten Zeit für heimliche Treffen, die bei verheirateten Frauen erforderlich waren. Im Allgemeinen kam es also nur zu ein- oder zweimaligen Begegnungen. Lady Shelton interessierte ihn stärker, er hatte das
Gefühl, dass ein paar Nächte weder ihr noch ihm gerecht werden würden. Seufzend und leicht ergrimmt gestand er sich ein, dass diese Geschichte ihm wahrscheinlich noch einige Unannehmlichkeiten bereiten würde.
*
Die Herzoginwitwe war ebenfalls eine nicht standesgemäße Frühaufsteherin. Isobel de Warenne Braxton-Lowell hatte sich diese plebejische Gewohnheit schon früh in ihrer Ehe zugelegt, zu der Zeit, als Francis nach dem Tod des siebten Herzogs in den Besitz des väterlichen Erbes gekommen war. Sie hatte rasch erkannt, dass Francis nicht die geringste Neigung hatte, seine wüsten Vergnügungen aufzugeben. Als die Rechnungen sich immer höher stapelten, hatte sie schließlich einen Finanzberater beauftragt, sich darum zu kümmern. Es war ein böser Schock für sie gewesen zu erfahren, dass die Mittel schwanden und die Ländereien darbten; der übelste Schock aber war ihre Ehe selbst. Doch das war nur der Anfang gewesen. Jemand musste sich um das riesige Besitztum des Herzogs kümmern. Isobel übernahm diese Aufgabe, aber je besser sie sie meisterte, desto wütender wurde Francis auf sie.
Kurz nach halb sieben ließ sie sich von Woodward aus einer silberlegierten Kanne Tee einschenken. Diese Kanne wies ebenso deutlich auf die Not der früheren Besitzer von Chapman Hall hin wie die heruntergekommenen Äcker und abgetretenen Eichendielen im Haus. Niemand im Bekanntenkreis der Herzoginwitwe benutzte silberlegierte Kannen, schon gar nicht, wenn sie so angelaufen und zerbeult waren wie diese.
Trotz der frühen Stunde trug Isobel ein elegantes blaues Tageskleid mit hochgeschlossenem Kragen, Keulenärmeln, einer eng geschnürten Taille und einem glockenförmigen Rock mit Falten an der Rückseite. Isobel war vierundfünfzig, doch ihre Figur, auf die sie penibel achtete, war die einer Frau in ihren Zwanzigern. Auch ihre Haut war bis auf die kleinen Fältchen an den Winkeln ihrer lebhaften blauen Augen und den Charakterlinien um den Mund glatt wie Elfenbein und hatte einen zarten Schimmer, wofür spezielle Cremes sorgten. Ihr ovales Gesicht, dem man das Alter kaum ansah, wirkte mit seinen hohen Wangenknochen sehr vornehm. Sie war noch immer ausgesprochen attraktiv, und als junge Frau hatte sie als große Schönheit gegolten.
Passend zu ihrem teuren blauen Seidenkleid trug sie Saphirohrringe und ein breites, auffälliges Armband, bei dem sich Saphire mit Diamanten abwechselten. Ein großer, von zwei kleinen Rubinen umrahmter Saphir funkelte an ihrer rechten Hand. Sie trug keinen Ehering. Sie war froh gewesen, ihre Eheringe zusammen mit ihrem verstorbenen Gatten ablegen zu können.
»Ich dachte, dass ich dich hier treffen würde«, bemerkte der Herzog, als er in seinen eng anliegenden Reithosen, in Stiefeln und einem lose über den Bund hängenden weißen Hemd den Saal betrat. »Guten Morgen, Mutter!« Er küsste sie auf die Wange.
»Guten Morgen!« Isobel musterte ihn, als er sich neben sie an das Kopfende des zerkratzten Mahagoni-Tisches setzte, und konnte nicht umhin, großen Stolz ob ihres Sohnes zu empfinden. Er war ihr einziges Kind, und sie hatte ihn relativ spät in ihrer Ehe empfangen, sieben Jahre nach der Hochzeit, mit vierundzwanzig. Sie war nicht nur stolz auf sein bemerkenswert gutes Aussehen und sein männliches Auftreten, sondern auf schlichtweg alles an ihm. Denn er war ein ehrenhafter Mann, ein Sohn, auf den jede Frau stolz sein würde, so stark, solide und pflichtbewusst, wie Francis schwach, unehrenhaft und verantwortungslos gewesen war. Natürlich war sie auch ein wenig traurig, denn im Wissen um die ganze Wahrheit
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