Rebellion Der Engel
Richtung Waschraum und war froh, als außer mir niemand dort war. Nach dem Gerede und Gelächter am Tisch erschien mir die Stille beinahe unnatürlich. Ich drehte den Wasserhahn auf. Während ich mir die Hände wusch, betrachtete ich mein Gesicht in dem riesigen Spiegel, der sich von einem Ende der Wand bis zum anderen erstreckte. Unter meinen Augen lagen dunkle Schatten, deren Existenz ich jedoch auf das gedämpfte Licht schob. Es war viel zu dämmrig, um mein Make-up aufzufrischen, deshalb ließ ich die Puderdose in der Handtasche und spritzte mir nur ein wenig kaltes Wasser auf den Hals. Danach wusch ich mir noch einmal die Hände. Nicht, dass sie schmutzig gewesen wären, es zog mich nur nicht so schnell zu den anderen zurück.
»O Himmel, siehst du müde aus«, erklang die Stimme eines Mannes hinter mir.
Ich hob den Kopf, um ihn im Spiegel anzusehen und ihm klarzumachen, dass er sich in der Tür vertan hatte und in der Damentoilette gelandet war, als mein Blick auf einen blinden Fleck fiel.
Heilige Scheiße, nicht schon wieder!
Noch während ich herumfuhr, riss ich meine Handtasche vom Waschtisch und hob sie zum Schlag. Da war er! Derselbe Typ, den ich auch auf meinem Rücksitz gesehen hatte – nur dass mir dieses Mal genug Zeit blieb, ihn genauer zu mustern. Als Erstes fiel mir auf, wie groß er war, was hauptsächlich daran lag, dass ich den Kopf in den Nacken legen musste, um sein Gesicht sehen zu können. Was mich zu meiner zweiten Erkenntnis brachte: Er war eindeutig zu nah! Ohne ihn aus den Augen zu lassen, wich ich zurück,bis ich mit dem Hintern gegen das Waschbecken stieß. Einzelne Strähnen seines schwarzen Haars fielen ihm in die Stirn und betonten seine dunklen Augen und die kantigen Züge. Ich wusste nicht, ob ich erleichtert sein sollte, dass er existierte, oder ob mich dieser Umstand in Panik versetzen müsste. Die Tasche noch immer erhoben, konnte ich nichts weiter tun, als ihn anzustarren.
»Wer, zum Teufel, bist du?«, würgte ich schließlich hervor.
Er runzelte die Stirn. »Du kannst mich sehen?«
»Natürlich kann ich dich sehen!«, fuhr ich ihn an. »Und jetzt mach den Mund auf oder ich zieh dir das Teil hier über den Schädel!« Ich fuchtelte mit meiner Tasche vor seiner Nase herum und fühlte mich dabei weit weniger mutig, als ich mich anhören mochte.
»Du hast mich nicht gesehen!«
Das klang nicht nach einer Feststellung. Eher nach einem Befehl oder dem Versuch, mir etwas einzureden. Womöglich war ich hier nicht die Einzige, die nicht ganz richtig im Kopf war. Ich hob meine Handtasche ein Stück höher. »Du hast noch genau drei Sekunden Zeit, mir eine Erklärung zu liefern.«
Er sagte nichts, starrte mich nur an, als sei das, was er sah, vollkommen unmöglich.
Ich zählte im Stillen bis drei. Als er auch dann immer noch schwieg, holte ich aus. Er machte einen Schritt rückwärts, um meinem Schlag auszuweichen, und stieß dabei gegen den wuchtigen runden Mülleimer. Das heißt: Er hätte dagegenstoßen müssen. Stattdessen begann sein Körper zu flackern und wurde durchscheinend, sodass ich plötzlich die gekachelte Wand hinter ihm sehen konnte. Dann glitt er einfach durch den Mülleimer hindurch. Um ein Haar wäre mir die Tasche aus der Hand gefallen.
Er hob beide Hände, eine Geste, die unter anderenUmständen beruhigend gewirkt hätte. Bei jemandem, der halb durchsichtig war, verlor sich ihre Wirkung jedoch.
»Ich will dir nichts tun.« Seine Stimme war warm und angenehm, doch da schwang noch etwas anderes in seinen Worten mit. Überraschung? Verwunderung?
»Du kannst mir gar nichts tun!«, gab ich zurück. »Halluzinationen sind generell ungefährlich.« Zumindest, solange man sich nicht Dinge vorstellte wie eine nicht vorhandene Brücke, die über einen Abgrund führte, und diese dann zu betreten versuchte.
»Ich bin keine Einbildung.«
Sicher. Als ich gerade den blinden Fleck im Spiegel und kurz darauf ihn gesehen hatte, war ich davon überzeugt gewesen, dass er tatsächlich existierte. Bis zu dem Augenblick, in dem er durchsichtig geworden war. »Was bist du dann? Ein Gespenst?«
»Nein, nicht wirklich.« Der Kerl – oder was immer er sein mochte – hatte tatsächlich den Nerv, zu seufzen. »Ich kann dir das nicht erklären. Ich darf es nicht. Abgesehen davon würde es sich ohnehin zu seltsam anhören.«
»Seltsamer als ein Typ, durch den ich die Fliesen an der Wand dahinter sehen kann?«
»Entschuldige.« Seine Gestalt flackerte kurz, gewann dann an
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