Rebellion Der Engel
Körper. Jetzt sah er wieder wie ein normaler Mensch aus. Obwohl alles in mir danach schrie, die Flucht zu ergreifen, streckte ich die Hand aus und stieß ihm mit dem Zeigefinger gegen die Brust. Ein bisschen fühlte ich mich, als würde ich mit einem Stock gegen ein am Boden liegendes Tier stoßen, um zu sehen, ob es noch lebte. Mein Finger versank nicht und es geschah auch sonst nichts Merkwürdiges. Die Berührung fühlte sich vollkommen normal an. Damit war mein Mutvorrat allerdings erst einmal aufgebraucht und ich zog mich wieder zum Waschbecken zurück. Dabeierhaschte ich einen Blick in den Spiegel. Einmal mehr stach mir der blinde Fleck ins Auge, an der Stelle, an der das Spiegelbild dieses geisterhaften Kerls hätte sein sollen.
»Du warst im Wagen«, sagte ich. »Deinetwegen habe ich diesen Unfall gebaut!«
»Wie hätte ich ahnen sollen, dass du mich sehen kannst? Niemand kann mich sehen, wenn ich es nicht will.«
»Dann hast du es wohl nicht fest genug gewollt.«
Ich weiß nicht, was mich mehr beunruhigte: Dass er indirekt zugab, in meinem Auto gesessen zu haben, oder dass er behauptete, für gewöhnlich unsichtbar zu sein. So oder so, der Kerl jagte mir eine Heidenangst ein. Ich wollte nur noch weg von ihm. Als ich versuchte, zur Tür zu gelangen, hörte ich seine Schritte in meinem Rücken.
»Schneewittchen, warte!«
Wie hatte er mich gerade genannt? Am liebsten hätte ich mich umgedreht und ihm meine Handtasche übergezogen, allerdings bezweifelte ich, dass ich damit bei einem Kerl, der kurz flimmerte und dann mir nichts dir nichts durch Hindernisse hindurchglitt, viel erreichen würde.
Trotzdem blieb ich stehen.
»Also gut«, sagte ich, ohne mich zu ihm umzudrehen. » Was bist du und was willst du von mir?«
Schon wieder Schweigen.
Ich atmete einmal tief durch und wandte mich ihm zu.
Er war fort.
Zumindest sah ich ihn nicht mehr. Ob er wirklich nicht mehr da war, konnte ich nicht mit Sicherheit sagen. Wie denn auch, bei jemandem, der durchsichtig werden konnte und angeblich unsichtbar sein sollte?
»He!« Allmählich gewann meine Wut die Oberhand. »Wo steckst du?«
»Stimmt etwas nicht?«
Erschrocken fuhr ich herum und sah mich Lea gegenüber, die mich musterte. Der Geisterkerl musste gespürt haben, dass sie kam, und hatte sich aus dem Staub gemacht. Andere mögliche Erklärungen, von denen die meisten damit zu tun hatten, dass er gar nicht da gewesen war, ignorierte ich.
»Nein«, sagte ich schnell und richtete meinen Blick auf den Boden. »Alles bestens. Mir ist nur mein Lippenstift aus der Tasche gefallen und jetzt kann ich das verdammte Ding nicht mehr finden.«
Lea lachte. »Ich dachte schon, ich hätte die Stimme eines Mannes gehört.«
»Ich habe nur vor mich hin gebrummt«, sagte ich kopfschüttelnd und fügte schnell hinzu: »Wegen des Lippenstiftes.«
Lea half mir bei der Suche, aber da wir nicht finden konnten, was nicht da war, gaben wir schließlich auf. Ich hätte gern gewartet, bis Lea wieder verschwand, um zu sehen, ob mein Gespenst noch einmal auftauchte, doch ich war schon viel zu lange fort. Vermutlich würde sich Amber bereits fragen, ob etwas nicht stimmte. Also wartete ich, bis Lea sich die Hände gewaschen hatte, und kehrte mit ihr zusammen an den Tisch zurück.
Die Stimmung war noch immer ausgelassen, doch obwohl ich mir alle Mühe gab, gelang es mir nicht mehr, mich an den Unterhaltungen zu beteiligen. Als wir schließlich bezahlten und das Pompeji verließen, war ich heilfroh, endlich nach Hause zu können. Vor dem Lokal blieben wir stehen. Es war nicht mehr so warm wie während des Tages, weshalb ich meine Strickjacke überzog. Steve, Jill und Pat verabschiedeten sich als Erste und gingen gemeinsam davon. Nate küsste Amber und flüsterte ihr etwas ins Ohr, das ihr ein Kichern entlockte, dann folgte er seiner Schwester um die Ecke zum Parkplatz.
Amber und ich blieben allein zurück.
»Soll ich dich mitnehmen?«, wollte sie wissen.
Ich schüttelte den Kopf. »Es ist ein schöner Abend, ich werde laufen.« Wenn ich jetzt etwas dringend brauchte, dann frische Luft und einen klaren Kopf. Der Fußmarsch würde mir helfen, beides zu bekommen.
»Dann sehen wir uns morgen?«
»Ich freu mich drauf.« Und das tat ich wirklich. Nachdem ich wochenlang gezwungen gewesen war, mehr oder weniger nichts zu tun und meine Zeit mit Lesen und Musikhören totzuschlagen, konnte ich es kaum erwarten, mein gewohntes Leben wieder aufzunehmen. Vermutlich würde es ein paar
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