Rebellion Der Engel
er konnte an seinen Schreibtisch zurückkehren und den Fall Rachel Underwood zu den Akten legen.
Damals hatte er sie insgeheim Schneewittchen getauft. Es war die erste Assoziation gewesen, die ihm beim Anblick ihrer hellen Haut, der roten Lippen und des dichten schwarzen Haars in den Sinn gekommen war. Der Vergleich passte noch immer. Lediglich die süße Unschuld des kleinen Mädchens von einst war aus ihren Zügen verschwunden. Rachel Underwood war erwachsen geworden.
Einmal mehr richteten sich ihre blauen Augen auf ihre Beifahrerin, eine Schönheit mit üppigen honigblondenLocken und einem Gesicht, das ein Bildhauer nicht besser hätte meißeln können. »Müssen wir das wirklich tun, Amber?«
Die Blonde nickte. »O ja«, gab sie entschieden zurück. »Du wirst schließlich nur einmal im Leben fünfundzwanzig, und ob es dir gefällt oder nicht, das werden wir feiern!«
»Dafür müssten wir nun wirklich nicht nach Seattle fahren.«
» Matt’s Café ist wohl kaum der geeignete Ort dafür.«
»Und auch nicht das einzige Lokal in Ruby Falls.«
Die Blondine stieß Rachel in die Seite. »Komm schon, gib es doch einfach zu, dass du es kaum erwarten kannst, für einen Abend dem Kleinstadtmief zu entfliehen.«
»Du hast mich durchschaut«, rief Rachel theatralisch. »Ich bin nur in die Kleinstadt gezogen, um ihr wieder entfliehen zu können.«
»Wofür du dich übrigens ziemlich aufgebrezelt hast.«
Akashiel reckte sich, um einen besseren Blick auf Rachel zu erhaschen. Sie trug ein weinrotes Abendkleid, silbernen Schmuck und dezentes Make-up. Ein himmelweiter Unterschied zu dem Mädchen von damals. Ihre Augen blitzten vor Lebensfreude, ihre Gesten waren voller Energie und in dem freundschaftlichen Spötteln, das die Frauen miteinander austauschten, lag so viel Wärme, dass die Worte nicht über das Einvernehmen hinwegtäuschen konnten, das zwischen den beiden herrschte. Sie hatte ihren Platz im Leben gefunden.
Fall erfolgreich abgeschlossen.
2
I ch verkniff mir ein Grinsen und richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf den Verkehr. Das Gewitter verzog sichlangsam und der Regen, der eben noch im Takt zur Musik auf das Stoffverdeck getrommelt hatte, ebbte zu einem feinen Nieseln ab. Ich schaltete den Scheibenwischer auf das niedrigste Intervall herunter.
Es gab Tage, an denen Ambers Versuche, mich zum Ausgehen zu bewegen, einfach nur nervtötend waren. Heute war keiner dieser Tage. Auch wenn ich es ungern zugab, war ich froh, an meinem Geburtstag nicht allein zu Hause sitzen zu müssen und auf den einen Anruf zu warten, der nicht kommen würde.
Amber hatte schon immer ein gutes Gespür dafür gehabt, wann ich Ablenkung brauchte. Wir kannten uns seit unserem ersten Tag an der Junior High, an dem wir uns nach Unterrichtsbeginn auf den verlassenen Gängen begegnet waren, beide auf der Suche nach unserem Klassenraum. Wie sich herausstellte, war es derselbe. Der Tadel, den wir uns vor der gesamten Klasse dafür eingefangen hatten, gleich am ersten Tag zu spät zum Unterricht zu erscheinen, hatte uns zusammengeschweißt. Das und die Tatsache, dass wir vom ersten Moment an auf einer Wellenlänge gelegen hatten.
Schon damals war es zur Tradition geworden, dass Amber meine Proteste ignorierte und mich Jahr für Jahr aus dem Haus schleppte, um meinen Geburtstag zu feiern. Es waren keine riesigen Partys, nichts mit Konfetti, bunten Papierhüten und Luftschlangen, sondern lediglich gemütliche Nachmittage und später Abende mit meinen Freunden. Selbst nachdem Amber und ich nach Ruby Falls gezogen waren, ließ sie sich nicht davon abbringen, meinen Geburtstag zu organisieren und wie gewohnt all meine Freunde in Seattle zusammenzutrommeln. Nur einen hatte selbst Amber nie dazu bewegen können, meinem Geburtstag Beachtung zu schenken – meinen Vater.
Ich verscheuchte die finsteren Gedanken, nicht willens,mir davon die Vorfreude auf den Abend verderben zu lassen: Ein schönes Abendessen in einem der tollen Restaurants im International District, danach ein paar Cocktails und später noch einen Abstecher in einen der angesagten Nachtklubs, ehe wir bei Tagesanbruch nach Ruby Falls zurückfahren und ich nach einer schnellen Dusche zur Arbeit gehen würde.
Obwohl der Tag danach meistens die Hölle war, freute ich mich jedes Jahr darauf, für einen Abend aus meiner gewohnten Routine gerissen zu werden. Es war nicht so, dass ich sonst nie ausging. Ich nutzte alle Möglichkeiten, die es in Ruby Falls gab, ging ins Kino, ins Café
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