Rebellion Der Engel
Gibst du mir bitte den Kakao?«
»Wo?«
Sie deutete auf den Eckschrank. »Ganz oben.«
Kaum hatte ich die Schranktür geöffnet, sah ich ihn schon. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und reckte mich, doch die Packung stand ein Stück von der Kante des Bretts entfernt, sodass mir noch mindestens dreißig Zentimeter fehlten. Ich stieß einen Fluch aus und versuchte es noch einmal, stützte mich dabei auf der Arbeitsplatte ab und drückte mich nach oben. Das Ergebnis war dasselbe: Die Kakaopackung stand außer Reichweite.
Amber, die meine Bemühungen beobachtet hatte, sagte: »Bevor du auf die Arbeitsplatte kletterst und herunterfällst, nimm lieber die kleine Leiter aus der Kammer.«
»Holst du jedes Mal die Leiter, wenn du Kakao willst?«
»Du bist diejenige von uns, die Kakao trinkt.«
Sie hatte ihn also nur meinetwegen im Haus. Vermutlich schon so lange, dass er längst abgelaufen war. Seufzend streckte ich den Arm aus und nahm zu einem letzten Versuch Maß. Meine Hand war noch einen halben Meter entfernt, als das Päckchen plötzlich zu wackeln begann. Es ruckte und wankte, dann flog es mir entgegen. Mit einem erschrockenen Schrei sprang ich zurück. Die Packung klatschte auf den Boden und platzte auf. Kakaostaub stieg wie dunkler Nebel daraus empor und senkte sich gleich darauf auf den hellen Fliesenboden herab.
Heilige Scheiße!
Ungläubig starrte ich auf die Packung zu meinen Füßen.
»Zum Teufel, was war das?«, rief Amber hinter mir.
Da erst wurde mir bewusst, dass sie ja auch noch da war. Ich drehte mich zu ihr herum und brachte ein unsicheres Lächeln zustande. »Ein Punkt mehr auf der Liste der Merkwürdigkeiten der letzten Zeit?«
In Ambers dunkelbraunen Augen stand nicht der geringste Funke von Humor. »Was immer es ist, es scheint nichts zu sein, wobei Dr. Fiedler dir helfen könnte.« Ihr Blick wanderte von mir zu dem Haufen, der von der Kakaopackung noch übrig war, und heftete sich dann wieder auf mich. »Mach das noch mal!«
»Was?«
Abgesehen davon, dass von der Packung nicht gerade viel übrig war, um sie durch die Luft wirbeln zu lassen, war ich mir nicht sicher, ob ich es noch einmal tun konnte – oder wollte.
Doch Amber ließ nicht locker. Sie deutete auf die Arbeitsplatte. »Der Pfefferstreuer. Lass ihn in deine Hand fliegen.«
Auch wenn mir das Ganze auf der einen Seite ziemlich unheimlich war, musste ich zugeben, dass ich andererseitswirklich neugierig war, ob es noch einmal funktionieren würde. Ich fixierte den Pfefferstreuer mit meinem Blick und streckte die Hand nach ihm aus.
Er rührte sich nicht.
Komm schon!, feuerte ich ihn in Gedanken an und machte einen Schritt auf ihn zu, in der Hoffnung, dass die geringere Distanz helfen würde.
Nichts geschah.
Ich versuchte es weiter, konzentrierte mich, starrte ihn an und stellte mir vor, den Kunststoff in meiner Hand zu spüren, aber das verdammte Ding bewegte sich keinen Millimeter.
Schließlich ließ ich die Hand sinken. »Es geht nicht.«
Die Milch kochte mit einem Zischen über. Amber zog den Topf schnell von der Kochplatte und schaltete den Herd ab. Der Geruch angebrannter Milch breitete sich in der Küche aus. »Tut mir leid, Rachel. Es sieht so aus, als würde es gleich aus mehreren Gründen heute nichts mit dem Kakao werden.«
Angesichts dessen, was gerade passiert war, erschien mir ihre Enttäuschung über den missglückten Kakao plötzlich unglaublich komisch. Ich versuchte mir das Lachen zu verkneifen – mit mäßigem Erfolg. Als die Muskeln um meinen Mund herum einige Sekunden lang wild zuckten, konnte ich nicht länger an mich halten und prustete los. Es war eine Mischung aus Gelächter und sich lösender Anspannung, in das Amber keine zwei Sekunden später einstimmte.
»Wie wäre es mit einem Glas Rotwein?«, schlug sie vor, nachdem wir uns allmählich beruhigt hatten.
»Der soll gut für die Nerven sein«, nickte ich.
Wir fegten den Kakao zusammen, wischten die übergelaufene Milch auf und weichten den Topf ein, bevor wir unsmit einer Flasche Wein und zwei Gläsern ins Wohnzimmer verzogen. Ich hätte müde sein sollen, ich war noch nie ein ausgeprägter Nachtmensch gewesen und das war definitiv keine Uhrzeit, zu der ich für gewöhnlich noch auf den Beinen war. Trotzdem war ich hellwach, was angesichts der Ereignisse eigentlich nicht weiter verwunderlich war.
Bevor ich es mir auf der Couch gemütlich machte, ging ich noch einmal in die Küche zurück. Ich holte den Pfefferstreuer und stellte ihn
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