Rebellische Herzen
angestaut hatte. Sie hatte, solange sie denken konnte, niemals so geweint.
Als das Schlimmste vorbei war, ging der Schluckauf los. »Es … tut … mir Leid.«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, sagte Hannah.
»Und du brauchst dir auch das Weinen nicht zu verkneifen.« Pamela war wütend. »Dein so genannter Ehemann … wo ist er hin? Als wir dich hergebracht haben, dachte ich, er würde mit hereinkommen und darauf bestehen, dass du wieder guter Dinge bist.«
Charlotte ließ einen lauten Schluchzer hören.
Pamela gab ihr ein frisches Taschentuch. »Wir haben darüber gesprochen, wie empört du sein musst, zur Heirat gezwungen zu sein. Aber wir hatten ja keine Ahnung … , sonst wären wir früher gekommen.«
»Ich hätte … nie gedacht … dass ihr kommt …«
»Er hat darauf bestanden.« Hannah schüttelte erbost den Kopf.
»Und wir fanden ihn deswegen sogar richtig sympathisch! Er hat seine eigene Kutsche geschickt, um uns zur Hochzeit herzuholen. Aber wir konnten nicht sofort weg. Wir haben eine Stelle für Pamela gefunden und -«
»Eine … Stelle?« Charlotte atmete zitternd durch. »Oh Pamela … was für eine?«
»Bei Lord Kerrich.« Pamela schien sich in ihrer Haut nicht ganz wohl zu fühlen. »Nur für kurze Zeit, aber sehr lukrativ.«
»Eine ganz und gar fadenscheinige Angelegenheit, wenn du mich fragst«, sagte Hannah.
»Aber wenn ich gut bin, verdiene ich in zwei Monaten so viel, wie im ganzen letzten Jahr. Und ich brauche mich nur um ein einziges Kleinkind zu kümmern.« Bei dem Gedanken an das viele Geld musste Pamela lächeln. »Hannah, du wirst doch verstehen, warum ich annehmen musste.«
Charlotte fragte beunruhigt: »Ist das Ganze legal?«
»Ja!«, antworteten beide gleichzeitig.
»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.« Hannah drückte ein Tuch aus, ging in die Hocke und legte es Charlotte ums Handgelenk. »Du weißt, ich würde nie zulassen, dass Pamela ihre Reputation gefährdet. Egal, wie viel Geld im Spiel ist.« Sie warf Pamela einen bedeutungsschweren Blick zu.
Pamela setzte sich hin.
»Aber nachdem ich Kerrich getroffen habe«, fuhr sie fort, »kann ich dir versichern, er ist so reich, verwöhnt und privilegiert, dass ihn andere Menschen gar nicht interessieren.«
»Niemand wird Schaden nehmen.«
Charlotte und Hannah sahen einander besorgt an. Pamela war aus reicher, vornehmer Familie. Doch dann hatten sie durch tragische Umstände alles verloren. Ihre Mutter war an mangelhafter Krankenpflege und gebrochenem Herzen gestorben. Deshalb jagte Pamela dem Erfolg mehr hinterher, als die beiden anderen zusammen. Charlotte und Hannah hatten immer befürchtet, ihre Ambitionen könnten Pamela irgendwann auf die schiefe Bahn bringen.
Nur das nicht,
betete Charlotte.
»Aber wir sind wegen Charlotte hier und nicht, um über Charlotte zu meine neue Stelle zu reden.«
Pamela hockte sich neben Hannah. »Was für ein wunderbares Anwesen, Charlotte. Du bist jetzt sicher sehr reich.«
Hannah stieß ihr den Ellbogen in die Rippen. »Geld allein macht nicht glücklich.«
»Nein. Aber du kannst damit in die besseren Läden gehen.«
»Pamela!«, zischte Hannah. Pamela gab Ruhe und Hannah wandte sich wieder Charlotte zu. »Hat Ruskin … dir wehgetan?«
»Nein, natürlich nicht.« Charlotte schnaubte in das letzte frische Taschentuch und warf es auf den Tücherhaufen auf dem Toilettentisch. »Nur anfangs, als er anfing von Heirat zu reden, dachte ich, er machte Witze oder versuchte, mich zu verführen. Dann hat er mich absichtlich kompromittiert und ich musste feststellen, dass er es ernst meinte. Womit ich wieder am Anfang angekommen bin. Einen Mann heiraten zu müssen, der mir – abgesehen von Toleranz – nichts entgegenbringt.«
Hannah und Pamela sahen einander an.
»Das ist schon eine bemerkenswerte Toleranz, die ihn eine wunderschöne Kutsche schicken lässt, um deine Freundinnen zur Hochzeit herzuholen.« Hannah versuchte, die verwirrende Lage zu verstehen. »Wenn die Kutsche keinen Defekt gehabt hätte, wären wir rechtzeitig hier gewesen. Als wir nicht kamen, hat er uns einen zweiten Wagen entgegengeschickt. Charlotte, er scheint freundlich zu sein und sich wirklich Gedanken um dich zu machen.«
»Ja, das tut er«, rief Charlotte. »Ich will ihn ja nicht schlecht machen! Er ist … er versucht … er ist in gewisser Weise herzlich.«
»Liegt es an den Kindern?«, fragte Pamela. »Mögen sie dich nicht?«
»Ich liebe die Kinder, und sie lieben mich.« Wie perfekt
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