Rebus - 09 - Die Sünden der Väter
Abernethy wollte mit Hogan sprechen, aber der hing noch immer am Telefon. Rebus war der Einzige, der Zeit zum Reden erübrigen konnte.
Was genau Rebus' Plan entsprach.
Er hatte nur fünf Minuten Zeit gehabt, um Siobhan zu instruieren, aber sie war eine geborene Schauspielerin, selbst wenn es galt, mit dem Freizeichen ein Gespräch zu führen. Hogans inexistente Bibliothekarin stellte derweil alle richtigen Gegenfragen. Und Abernethy guckte wie der Ochs vorm Berg.
»Wie meinen Sie das?«
»Überhaupt«, sagte Rebus und legte eine Akte vor Abernethy, »könnten Sie uns auch behilflich sein.«
»Wie bitte?«
»Sie gehören zum Special Branch, und der hat doch Zugang zu den Archiven der Geheimdienste, stimmt's?« Abernethy leckte sich über die Lippen und zuckte die Achseln.
»Sehen Sie«, fuhr Rebus fort, »wir sind irgendwie stutzig geworden. Es wären ein Dutzend Gründe denkbar, warum jemand den Wunsch haben könnte, Joseph Lintz zu töten, aber der eine, den wir bislang praktisch ignoriert haben,« (Hogans Auskunft zufolge auf Abernethys Anraten hin) »ist genau derjenige, der uns die Antwort liefern könnte. Ich spreche von der Rattenlinie. Was, wenn Lintz' Ermordung damit zusammenhinge?«
»Wie denn?«
Jetzt war es Rebus, der die Achseln zuckte. »Deswegen benötigen wir ja Ihre Hilfe. Wir brauchen jede Information, die wir über die Rattenlinie kriegen können.«
»Aber die hat's doch nie gegeben.«
»Komisch, eine Menge Bücher scheinen das Gegenteil zu behaupten.«
»Die irren sich.«
»Dann gibt es all diese Überlebenden... nur, dass die nicht überlebt haben . Selbstmorde, Verkehrsunfälle, ein Sturz aus dem Fenster. Lintz ist lediglich der vorerst Letzte einer langen Reihe von Toten.«
Siobhan Clarke und Bobby Hogan hatten ihre Telefonate beendet und verfolgten jetzt das Gespräch.
»Sie sind auf dem Holzweg«, sagte Abernethy.
»Ach, wissen Sie, wenn man im Wald herumirrt, ist jeder Holzweg besser als gar nichts.«
»Es gibt keine Rattenlinie.«
»Sind Sie Experte auf dem Gebiet?«
»Ich trage schon lange alle -«
»Ja, ja, Sie tragen alle Ermittlungsergebnisse zusammen. Und, wie weit sind Sie damit gekommen? Wird auch nur einer dieser Fälle vor Gericht verhandelt werden?«
»Es ist noch zu früh, um irgendwelche Aussagen zu machen.«
»Und schon bald könnte es zu spät sein. Diese Männer werden schließlich nicht jünger. Das Spiel habe ich schon überall in Europa beobachtet: Verhandlungen so lange hinauszögern, bis die Angeklagten so alt sind, dass sie abkratzen oder debil werden. So oder so ist das Resultat dasselbe: kein Prozess.«
»Hören Sie, das hat nichts damit -«
»Warum sind Sie hier, Abernethy? Warum wollten Sie voriges Mal unbedingt Lintz sprechen?«
»Hören Sie, Rebus, das ist nicht -«
»Wenn Sie es uns nicht sagen können, reden Sie eben mit Ihrem Chef. Dann soll er es uns sagen. Denn bei dem Tempo, das wir hier vorlegen, ist es andernfalls eine Frage der Zeit, bis wir einen alten Knochen ausbuddeln.« Abernethy trat einen Schritt zurück. »Ich glaube, ich verstehe«, sagte er und lächelte. »Sie versuchen, mich unter Druck zu setzen.« Er sah dabei Hogan an. »Das ist es.«
»Ganz und gar nicht«, entgegnete Rebus. »Ich sage lediglich: Wir werden unsere Anstrengungen verdoppeln, werden selbst noch in der letzten Ecke schnüffeln. Rattenlinie, Vatikan, zu Westspionen und kalten Kriegern umfunktionierte Nazis... alles könnte als Beweis zählen. Die anderen Männer auf Ihrer Liste, die anderen Verdächtigen... Wir werden mit ihnen allen reden müssen, feststellen, ob sie Joseph Lintz kannten. Vielleicht haben sie ihn während der Reise hierher kennen gelernt.«
Abernethy schüttelte immer wieder den Kopf. »Ich werde das nicht zulassen.«
»Sie wollen also die Ermittlungen behindern?«
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Nein, aber tun werden Sie's.« Rebus schwieg einen Moment. »Wenn Sie meinen, wir wären auf dem Holzweg, dann los, beweisen Sie es. Geben Sie uns alles, was Sie über Lintz' Vergangenheit haben.«
Abernethy starrte ihn böse an.
»Oder wir buddeln und schnüffeln weiter.« Rebus öffnete den nächsten Aktendeckel, zog das erste Blatt heraus. Ho-gan nahm den Telefonhörer wieder auf, wählte. Siobhan sah auf eine Liste von Telefonnummern und tippte eine davon ein.
»Hallo, spreche ich mit der Synagoge von Edinburgh?«, sagte Hogan. »Ja, hier ist Detective Inspector Hogan, CID Leith. Haben Sie zufällig irgendwelche Informationen
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