Rebus - 09 - Die Sünden der Väter
jetzt wahrscheinlieh ebenfalls, an Ned Farlowe gekuschelt. Schlaf bedeutete Unschuld. Selbst die Stadt sah im Schlaf unschuldig aus. Manchmal betrachtete er die Stadt und entdeckte eine Schönheit, der sein Zynismus nichts anhaben konnte.
Einmal - kürzlich? vor Jahren? - hatte ihn jemand in einem Pub dazu aufgefordert »Romantik« zu definieren. Wie sollte das angehen? Er hatte schon zu viele der Kehrseiten der Liebe gesehen. Menschen, die sowohl aus Leidenschaft als auch aus einem völligen Mangel daran getötet wurden, so dass er jetzt, wenn er Schönheit sah, nicht umhinkonnte, sich vorzustellen, dass sie vergehen oder zerstört werden würde. Er sah Liebespaare in den Princes Street Gardens und malte sich aus, wie sie sich ein paar Jahre später stritten und einander verrieten. Er sah herzförmige Valentinskarten in den Läden und stellte sich Stichwunden darin vor, echte blutende Herzen. Natürlich hatte er seinem Pub-Inquisitor gegenüber nichts davon erzählt.
»Definieren Sie Romantik«, hatte die Aufforderung gelautet. Und Rebus' Reaktion? Er hatte ein frisch gezapftes Pint Bier vom Tresen genommen und das Glas geküsst.
Er schlief bis neun, duschte und machte sich Kaffee. Dann rief er das Hotel an, wo ihm Siobhan versicherte, dass alles in bester Ordnung sei.
»Sie war ein bisschen erschrocken, als sie aufwachte und mich statt Sie sah. Hat die ganze Zeit Ihren Namen wiederholt. Ich hab ihr gesagt, dass Sie wiederkommen würden.«
»Und wie sieht die weitere Planung aus?«
»Einkaufen - einmal kurz durch das Gyle. Dann nach Fettes. Dr. Colquhoun kommt mittags für eine Stunde vorbei. Wir werden sehen, was wir aus ihr rausbekommen.«
Rebus stand am Fenster und schaute hinunter auf die regennasse Arden Street. »Geben Sie auf sie Acht, Siobhan.«
»Keine Sorge.«
Rebus wusste, dass er sich keine Sorgen zu machen brauchte, nicht bei Siobhan. Das war ihr erster richtiger Einsatz beim Crime Squad, da würde sie den Teufel tun und die Sache vermasseln. Er stand in der Küche, als das Telefon klingelte.
»Spreche ich mit Inspector Rebus?«
»Wer ist am Apparat?« Eine Stimme, die ihm fremd war.
»Inspector, mein Name ist David Levy. Wir kennen uns nicht. Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie zu Hause anrufe. Matthew Vanderhyde hat mir Ihre Nummer gegeben.«
Der alte Vanderhyde. Rebus hatte ihn seit einer ganzen Weile nicht gesehen.
»Ja?«
»Ich muss gestehen, ich war schon erstaunt, als sich herausstellte, dass er Sie kannte.« In der Stimme schwang ein trockener Humor mit. »Aber mittlerweile dürfte mich bei Matthew eigentlich nichts mehr überraschen. Ich hatte ihn aufgesucht, weil er Edinburgh kennt.«
»Ja?«
Lachen am anderen Ende der Leitung. »Tut mir Leid, Inspector. Ich kann Ihnen Ihren Argwohn nicht verdenken, nachdem ich mich bei der Vorstellung so ungeschickt angestellt habe. Ich bin Historiker. Solomon Mayerlink bat mich herauszufinden, ob ich Ihnen irgendwie behilflich sein könnte.«
Mayerlink... den Namen kannte Rebus von irgendwoher. Richtig: Mayerlink leitete das Holocaust- Untersuchungsamt.
»Und was genau meint Mr. Mayerlink, wie Sie mir ›behilflich‹ sein könnten?«
»Vielleicht sollten wir das persönlich besprechen, Inspector. Ich wohne in einem Hotel am Charlotte Square.«
»Im Roxburghe?«
»Könnten wir uns dort treffen? Vielleicht schon heute Vormittag?« Rebus sah auf die Uhr. »In einer Stunde?«, schlug er vor.
»Wunderbar. Bis dann, Inspector.«
Rebus rief im Büro an und teilte mit, wo er zu erreichen sei.
5
Sie saßen in der Lounge des Roxburghe, und Levy schenkte Kaffee ein. In der entgegengesetzten Ecke, am Fenster, studierte ein älteres Ehepaar einzelne Teile einer Zeitung. David Levy war ebenfalls ein älterer Jahrgang. Er trug eine schwarz gerahmte Brille und ein silbernes Bärtchen. Sein Haar wirkte wie ein Silberhalo um eine Kopfhaut, die die Farbe von gegerbtem Leder hatte. Seine Augen schienen ständig feucht zu sein, als habe er gerade in eine Zwiebel gebissen. Er trug einen graubraunen Safarianzug mit blauem Hemd und blauer Krawatte. Mittlerweile im Ruhestand, hatte er früher in Oxford, im Staat New York, in Tel Aviv und an verschiedenen anderen Orten rund um den Globus gearbeitet.
»Mit Joseph Lintz bin ich allerdings nie in Kontakt gekommen. Es bestand auch keinerlei Veranlassung, da wir ganz unterschiedliche Interessengebiete haben.«
»Warum glaubt Mr. Mayerlink dann, dass Sie mir behilflich sein könnten?«
Levy stellte die
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