Rebus - 09 - Die Sünden der Väter
Kaffeekanne auf das Tablett zurück. »Milch? Zucker?« Rebus schüttelte den Kopf und wiederholte seine Frage.
»Na ja, Inspector«, antwortete Levy, während er zwei Löffel Zucker in seine Tasse gab, »es ginge eigentlich mehr um moralische Unterstützung.«
»Moralische Unterstützung?«
»Schauen Sie, Inspector, es sind schon viele Leute vor Ihnen in der Situation gewesen, in der Sie sich jetzt befinden. Und ich rede von objektiven Leuten, Profis, die durch die Ermittlungen keinerlei persönliche Interessen verfolgten.«
Rebus schwoll der Kamm. »Falls Sie damit unterstellen wollen, ich würde meinen Job nicht machen...« Über Levys Gesicht huschte ein schmerzerfüllter Ausdruck. »Bitte, Inspector, ich stelle mich ziemlich ungeschickt an, stimmt's? Ich meine damit lediglich, dass es Zeiten geben wird, da Sie an der Berechtigung dessen, was Sie tun, zweifeln werden. Sie werden am Sinn Ihres Tuns zweifeln.« Seine Augen funkelten.
»Vielleicht sind Ihnen bereits Zweifel gekommen?«
Rebus schwieg. Er hatte eine ganze Schublade von Zweifeln, besonders jetzt, wo er einen echten, lebendigen Fall hatte - Candice. Candice, die sie möglicherweise zu Tommy Telford führen würde.
»Man könnte sagen, ich bin hier als Ihr Gewissen, Inspector.« Levy verzog das Gesicht. »Nein, das habe ich auch nicht richtig formuliert. Sie haben schon ein Gewissen, das steht außer Frage.« Er seufzte. »Die Frage, die Sie ohne Zweifel beschäftigt, ist dieselbe, die ich mir schon zu verschiedenen Gelegenheiten gestellt habe: Kann die Zeit Schuld tilgen? Ich persönlich müsste die Frage mit ›Nein‹ beantworten. Die Sache ist die, Inspector.« Levy beugte sich nach vorn. »Sie untersuchen nicht die Verbrechen eines alten Mannes, sondern die eines jungen Mannes, der inzwischen alt geworden ist. Konzentrieren Sie sich darauf . Es hat schon früher Untersuchungen gegeben, halbherzige Pflichtübungen. Regierungen warten lieber darauf, dass diese Männer sterben, als ihnen selbst den Prozess machen zu müssen. Aber jede Untersuchung ist ein Akt des Erinnerns, und Erinnerung ist niemals vergeudet. Erinnerung ist unsere einzige Möglichkeit zu lernen.«
»So wie wir aus Bosnien unsere Lehre gezogen haben?«
»Sie haben Recht, Inspector, als Spezies haben wir schon von jeher immer viel Zeit gebraucht, um eine Lektion zu lernen. Manchmal muss man sie uns regelrecht einbläuen.«
»Und Sie glauben, ich bin Ihr Blaumann? Gab es überhaupt Juden in Villefranche?« Rebus konnte sich nicht erinnern, irgendwas darüber gelesen zu haben.
»Spielt das eine Rolle?«
»Ich wundere mich nur - woher das Interesse?«
»Um ehrlich zu sein, Inspector, gibt es noch einen kleinen zusätzlichen Grund.« Levy nahm einen Schluck Kaffee, während er seine Worte abwägte. »Die ›Rattenlinie‹. Wir möchten gern nachweisen, dass es sie wirklich gab, dass ihr Zweck darin bestand, Nazis vor möglichen Verfolgern zu retten.« Er schwieg kurz. »Dass sie mit der stillschweigenden Billigung - der mehr als stillschweigenden Billigung -mehrerer westlicher Regierungen und sogar des Vatikans operierte. Es geht hier um die allgemeine Mittäterschaft.«
»Sie wollen also, dass sich möglichst alle schuldig fühlen?«
»Wir wollen Anerkennung, Inspector. Wir wollen die Wahrheit. Ist es nicht auch das, was Sie wollen? Matthew Vanderhyde versicherte mir, dies sei das Grundmotiv Ihres Handelns.«
»Er kennt mich nicht besonders gut.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher. Und derweil gibt es Leute, die lieber möchten, dass die Wahrheit verborgen bleibt.«
»Und die Wahrheit wäre...?«
»Dass bekannte Kriegsverbrecher nach Großbritannien -und in andere Länder - geschafft wurden und ein neues Leben, eine neue Identität angeboten bekamen.«
»Als Gegenleistung wofür?«
»Damals fing gerade der Kalte Krieg an, Inspector. Sie kennen den alten Spruch: ›Meines Feindes Feind ist mein Freund.‹ Diese Mörder wurden von den Geheimdiensten beschützt. Der Militärische Nachrichtendienst bot ihnen Posten an. Es gibt Leute, denen es lieber wäre, wenn das nicht bekannt würde.«
»Und?«
»Und ein Prozess, ein öffentlicher Prozess, würde sie bloßstellen.«
»Sie wollen mich vor Geheimschnüfflern warnen?«
Levy legte die Hände aneinander, fast wie zum Gebet. »Also, ich befürchte, dass dies keine hundertprozentig befriedigende Begegnung gewesen ist, und dafür möchte ich mich entschuldigen. Ich bin noch ein paar Tage hier, wenn nötig, vielleicht auch
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