Rebus - 09 - Die Sünden der Väter
erschienen war und zu ihm herabstrahlte. Die Szene hatte etwas Biblisches, aber Rebus konnte sie nicht recht einordnen. Den Ausdruck im Gesicht des Mannes kannte er allerdings. Er hatte ihn schon mehrfach bei Verdächtigen gesehen, deren sorgfältig konstruiertes Alibi plötzlich wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiel.
Über dem marmornen Kamin hing ein großer Spiegel mit vergoldetem Rahmen. Rebus betrachtete sich darin. Hinter sich konnte er das Zimmer sehen. Er wusste, dass er da nicht reinpasste.
Ein Schlafzimmer war für Gäste, im anderen hatte Lintz geschlafen. Ein schwacher Geruch nach Einreibemittel, auf dem Nachttisch ein halbes Dutzend Arzneifläschchen. Und Bücher, ein ganzer Stapel. Das Bett war gemacht, ein Morgenmantel lag ordentlich darauf ausgebreitet. Lintz war ein Gewohnheitstier; er hatte es am Morgen nicht sonderlich eilig gehabt.
Im nächsten Stock fand Rebus zwei weitere Schlafzimmer und eine Toilette. In einem der Zimmer roch es ein bisschen modrig, und die Decke war fleckig. Rebus konnte sich nicht vorstellen, dass Lintz allzu häufig Gäste gehabt hatte; keine Motivation zum Renovieren. Wieder draußen auf dem Flur, fiel ihm auf, dass im Treppengeländer ein Pfosten fehlte. Er stand an die Wand gelehnt und harrte seiner Reparatur. In einem Haus von der Größe war zwangsläufig immer etwas kaputt.
Er ging wieder nach unten. Hogan befand sich im Souterrain. Von der Küche aus führte eine Tür in den rückwärtigen Garten - steingepflasterte Terrasse, mit verrottendem Laub bedeckter Rasen, eine efeuüberwachsene Mauer, die vor indiskreten Blicken schützte.
»Schauen Sie, was ich gefunden habe«, sagte Hogan, als er aus dem Haushaltsraum herauskam. Er hielt ein Seil hoch, von dem unverkennbar ein Stück abgeschnitten worden war.
»Sie glauben, das passt mit der Schlinge zusammen? Das würde bedeuten, dass der Mörder das Seil von hier hatte.«
»Was wiederum bedeuten würde, dass Lintz ihn kannte.«
»Irgendwas im Arbeitszimmer?«
»Das wird einige Zeit erfordern. Es gibt ein Adressbuch, jede Menge Einträge, aber zum größten Teil scheinen sie älteren Datums zu sein.«
»Woran sehen Sie das?«
»Alte Vorwahlnummern.«
»Computer?«
»Nicht mal 'ne Schreibmaschine. Aber er benutzte immerhin Kohlepapier. Haufenweise Briefe an seinen Anwalt.«
»Wegen der Medienberichte?«
»Sie werden auch ein paar Mal erwähnt. Oben irgendwas?«
»Sehen Sie selbst nach. Ich nehm mir das Arbeitszimmer vor.«
Rebus stieg wieder nach oben und blieb an der Schwelle des Arbeitszimmers stehen, sah sich um. Dann setzte er sich an den Schreibtisch und stellte sich vor, das sei sein Zimmer. Was machte er hier? Er erledigte seine Alltagspflichen. Es gab zwei Aktenschränke, aber um an die zu gelangen, hätte er aufstehen müssen. Er war ein alter Mann. Also waren die Schränke für die alte Korrespondenz. Aktuellere Sachen dürfte er näher an seinem Arbeitsplatz abgelegt haben.
Er sah in den Schubladen nach. Fand das Adressbüchlein, von dem Hogan gesprochen hatte. Ein paar Briefe. Eine kleine Schnupftabakdose, Inhalt fest zusammengebacken. Lintz hatte sich nicht einmal dieses kleine Laster gegönnt. In einer der unteren Schubladen befanden sich ein paar Aktenordner. Rebus zog den einen heraus, der mit »Allgemeines/Haushalt« beschriftet war. Er enthielt Rechnungen und Garantien. Auf einem großen braunen Umschlag stand »BT«. Rebus öffnete ihn; in ihm befanden sich die Telefonrechnungen des laufenden Jahres. Die letzte Rechnung lag zuoberst. Wie Rebus enttäuscht feststellte, enthielt sie keine Auflistung der Einzelverbindungen. Alle übrigen jedoch schon. Lintz war sehr penibel gewesen, hatte neben jeder Telefonnummer den Namen des Angerufenen notiert und den Gesamtbetrag am Ende jeder Seite noch einmal nachgerechnet. Das ging das ganze Jahr so... bis auf den letzten Monat. Stirnrunzelnd stellte Rebus fest, dass der vorletzte Bescheid fehlte. Hatte Lintz ihn verlegt? Rebus konnte sich nicht vorstellen, dass er irgendetwas verlegte. Eine fehlende Rechnung hätte den Einbruch des Chaos in seine wohlgeordnete Welt bedeutet. Nein, sie musste irgendwo sein. Aber Rebus konnte sie einfach nicht finden.
Lintz' Korrespondenz war rein geschäftlicher Natur -entweder mit Anwälten oder mit verschiedenen örtlichen Wohltätigkeitsorganisationen und Komitees. Aus Letzteren war er kürzlich ausgeschieden. Rebus fragte sich, ob man Druck auf ihn ausgeübt hatte. Was das anging, konnte Edinburgh grausam
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