Rebus - 09 - Die Sünden der Väter
hatte gegen Lintz ermittelt; Ned Farlowe war ihm dabei gefolgt. Rebus hatte sich zweimal mit Telford angelegt; Ned arbeitete an einem Buch über das organisierte Verbrechen. Dann war da noch Candice... Konnte sie Sammy etwas verraten haben, etwas, das für Telford oder sogar Mr. Pink Eyes eine Gefahr darstellte? Rebus hatte keine Ahnung. Er wusste, dass der wahrscheinlichste Täter - der skrupelloseste Kandidat - Tommy Telford war. Er erinnerte sich an seine erste Begegnung mit ihm und daran, was er ihm gegenüber gesagt hatte: Das ist das Schöne an Videospielen. Nach einem Unfall kann man immer wieder neu anfangen. Ist im wirklichen Leben nicht so einfach . In dem Moment hatte es wie pure Aufschneiderei geklungen, eine Schau für seine Mannen. Im Nachhinein aber klang es wie eine offene Drohung.
Und jetzt kam noch Mr. Taystee hinzu, der eine Verbindung zwischen Sammy und Telford herstellte. Mr. Taystee hatte vor Telfords Nachtlokalen gearbeitet; Mr. Taystee hatte Sammy als Betreuerin abgelehnt. Rebus wusste, dass er mit der Witwe würde reden müssen.
Es gab nur das eine Problem: Mr. Pink Eyes hatte angedeutet, dass wenn er Telford nicht in Ruhe ließ, Candice dafür büßen müsse. Ständig hatte er Bilder von Candice vor Augen: aus Heimat und Zuhause herausgerissen; benutzt und misshandelt; sich selbst misshandelnd in der Hoffnung, sich dadurch eine Atempause zu verschaffen; sich an die Beine eines Unbekannten klammernd... Er erinnerte sich an Levys Worte: Kann die Zeit Schuld abtragen? Gerechtigkeit war eine schöne und hehre Sache, aber Rache... Rachedurst war ein Gefühl und weit stärker als ein abstrakter Begriff wie Gerechtigkeit. Er fragte sich, ob Sammy Rache gewollt hätte. Wahrscheinlich nicht. Sie hätte Candice helfen wollen, was bedeutete, sich Telford zu beugen. Rebus glaubte nicht, dass er dazu imstande sein würde.
Und jetzt kam noch der Mord an Lintz hinzu: ohne erkennbaren Zusammenhang, aber irgendwie mitschwingend .
»Ich habe mich in der Vergangenheit noch nie zu Hause gefühlt, Inspector«, hatte Lintz einmal gesagt. Komisch, Rebus hätte das Gleiche in Bezug auf die Gegenwart sagen können.
Joanne Tay wohnte in Colinton in einer ziemlich neuen Fünfzimmer-Doppelhaushälfte; der Mercedes stand noch immer in der Auffahrt.
»Es ist für mich zu groß«, erklärte sie Rebus. »Ich werd's verkaufen müssen.«
Wobei nicht klar war, ob sie das Haus oder das Auto meinte. Nachdem er einen Tee dankend abgelehnt hatte, nahm er in einem Wohnzimmer Platz, das von Nippes und Zierrat nur so strotzte. Joanne Tay war noch in Trauer: schwarzer Rock und schwarze Bluse, dunkle Ringe unter den Augen. Er hatte sie schon einmal zu Beginn der Ermittlungen befragt.
»Ich weiß noch immer nicht, warum er das getan hat«, sagte sie jetzt, nicht bereit, den Tod ihres Mannes als etwas anderes als Selbstmord zu betrachten.
Aber Autopsie und kriminaltechnische Untersuchungen hatten diesbezüglich Zweifel aufkommen lassen.
»Haben Sie jemals«, fragte Rebus, »von einem Mann namens Tommy Telford gehört?«
»Er führt doch einen Nachtklub, oder? Gavin war einmal mit mir da.«
»Gavin kannte ihn also?«
»Sah so aus.«
Natürlich: denn Mr.Taystee hätte unmöglich seine Würstchenbude vor Telfords Lokal aufstellen können, ohne vorher Telfords Okay einzuholen. Und Telfords Okay implizierte mit ziemlicher Sicherheit irgendeine Art von Bezahlung. Vielleicht eine prozentuale Beteiligung... oder eine Gefälligkeit.
»Sie hatten gesagt«, fuhr Rebus fort, »dass Gavin in der Woche vor seinem Tod viel zu tun hatte, richtig?«
»Er hat rund um die Uhr gearbeitet.«
»Tag und Nacht?« Sie nickte. »Die Woche war ein ziemliches Sauwetter.«
»Ich weiß. Ich hab zu ihm gesagt: ›An so einem Tag kauft dir doch kein Mensch Eis ab.‹ Es schüttete wie aus Kübeln. Aber er ist trotzdem los.«
»Hat er jemals von SWEEP gesprochen, Mrs. Tay?«
»Da gab's so eine Frau, die ihn gelegentlich besuchte... so 'ne Rothaarige.«
»Mae Crumley?«
Sie nickte, ohne die Augen vom künstlichen Kaminfeuer abzuwenden. Sie wiederholte ihre Frage, ob er eine Tasse Tee wolle. Rebus schüttelte den Kopf und stand auf. Schaffte einen ganz ordentlichen Abgang - warf auf dem Weg zur Tür nicht mehr als zwei Nippfiguren um.
Im Krankenhaus war es still. Als er die Tür zu Sammys Zimmer öffnete, stellte er fest, dass man ein zweites Bett hineingestellt hatte, in dem jetzt eine Frau mittleren Alters mit bandagiertem Kopf schlief. Ihre
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