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Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)

Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)

Titel: Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kachelmann , Miriam Kachelmann
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bloß auf die Idee gekommen, Menschen auf eine Richterbank zu setzen und sie darüber entscheiden zu lassen, ob jemand glaubwürdig ist oder nicht, ohne spezifische, sie dazu befähigende Ausbildung? Niemand würde diese Aufgabe einem Chemiker oder Mathematiker anvertrauen, obwohl der ähnlich lange studiert hat und sein Fachgebiet nicht weniger anspruchsvoll ist und er letzt endlich genauso wenig psychologische oder soziale Ausbildung genos sen hat wie jeder Richter und Staatsanwalt in Deutschland, der nicht aus eigener Initiative eine Weiterbildung besucht hat. Da ist er wieder: der unerschütterliche deutsche Glaube an unseren Rechtsstaat. Richter sind erhabene weise Persönlichkeiten, eben »Richterpersönlichkeiten« – das ist das Klischee, das in unseren Köpfen herumgeistert. Nur, woher soll denn diese Weisheit kommen? Es gibt in den juristischen Fakultäten der Universitäten keinerlei Pflichtfächer, die sich mit den menschlichen Problemen beschäftigen, die diese Berufe mit sich bringen. Sämtliche (Weiter-)Bildungsangebote zu den Themen Kriminologie, Vernehmungstechnik, Aussagepsychologie oder Jugendpsychologie erfolgen auf freiwilliger Basis sowohl während des Studiums als auch im Berufsalltag. Sie werden nicht nur aufgrund der tatsächlichen Überlastung von Juristen im Staatsdienst nicht in dem nötigen Maße nachgefragt, sondern oft auch deshalb nicht, weil Richter und Staatsanwälte den Unfug von Weisheit, Erfahrung und Erhabenheit per Amt irgendwann selbst glauben. »Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand.« Nichts könnte falscher sein.
    Das liegt nicht zuletzt daran, dass Selbstreflexion kaum stattfinden kann, wenn man selten bis nie mit eigenen Fehlern konfrontiert wird. Wer einen Unschuldigen verurteilt hat, wird wegen der hohen Hürden und der langen Laufzeit eines Wiederaufnahmeverfahrens nur ausnahmsweise auf seine Fehlentscheidung hingewiesen. Ein Staatsanwalt, der einen Freispruch kassiert, kann immer das feige Gericht verantwortlich machen, dem bloß der Mumm zum richtigen Urteil gefehlt habe, wenn es nicht gar die Schöffen waren, die den oder die Berufsrichter überstimmt haben. Dann geht man eben in die nächste Instanz.
    Wenn einem aber niemand widerspricht, einfach weil es keine Möglichkeit gibt, sich gegen die vom Gesetz zugesicherte nahezu schrankenlose Allmacht deutscher Richter und auch Staatsanwälte effektiv zu wehren – wie wenig die Praxis der Dienstaufsichtsbeschwerde dazu geeignet ist, habe ich bereits beschrieben –, woher soll dann eine Einsicht in die eigene Begrenztheit der Mittel kommen? Qualitativ hochwertige justizkritische Gerichtsberichterstattung findet lediglich in wenigen überregionalen Medien statt. Das alltägliche Anklagen und Richten vollzieht sich vor Lokalreportern, die affirmative Nacherzählungen abliefern, sofern sie das Stück überhaupt verstanden haben, das da gespielt wurde. Zugleich verkümmert die Rolle der Verteidiger als letzte Beschützer der Unschuldsvermutung durch die zunehmende Praxis der sogenannten Deals.
    Ohne Spiegel wird man das eigene Aussehen allerdings immer nur erahnen können. Wenn etwas rechtskräftig wird, dann ist es auch richtig gewesen, aus dem Auge, aus dem Sinn, und der nächste Fall steht schon bereit, um die Fehler aus dem alten vergessen und wiederholen zu können.
    Woraus soll denn da bitte Weisheit resultieren? Aus der über die Jahre vertieften Lektüre und Wiedergabe von Paragrafen, Dienstanweisungen, Urteilssammlungen und Gesetzeskommentaren? Ganz sicher nicht. Es bleibt also nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass der juristische Nachwuchs in seinem Vorleben schon ein gutes Stück an Lebenserfahrung gesammelt hat und eine reiche Herzensbildung mitbringt. Die Liste der Hoffnungen ist allerdings ziemlich lang. Man muss hoffen,
    • dass der Polizist, der eine Anzeige aufnimmt, sich eine zufälligerweise richtige selbst gebastelte Befragungstechnik angeeignet hat und motiviert ist, korrekt zu arbeiten, dass er ein Wortprotokoll aufnimmt und seine Ermittlungsschritte sauber dokumentiert;
    • dass der Staatsanwalt nicht seinen ersten Fall bearbeitet und sich ebenfalls schon einige, hoffentlich richtige Arbeitstechniken und Vernehmungsstrategien zurechtgelegt hat, nicht auf die Anklagequote bedacht ist und in seinem Vorleben eine gute Herzensbildung genossen hat, die seine institutionell geförderte Jagdleidenschaft zügelt und seinem Gerechtigkeitsgefühl Vorrang verleiht;
    • dass die eventuelle

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