Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
Landgericht so verblendet sein können, das ist schwer zu ertragen. Geholfen hat an den dunkleren Tagen immer die Wärme des Kollektivs, der Mitgefangenen, vor allem auch der türkischen, serbischen, kroati schen, albanischen, die eine feine Antenne hatten für die besseren und schlechteren Tage in meinem Knastleben: »Alda, was geht?« Geht so, und man tauscht ein bisschen Essen oder erzählt von den Kindern und ist sich einig, dass man nicht wieder nach Deutschland kommen möchte, wenn’s vorbei ist. Zumindest nicht nach Mannheim.
Das Gefühl des Ausgeliefertseins bedrückte mich, ich wurde stiller in den letzten Tagen vor der Entscheidung des Oberlandesgerichts, immer noch gab ich mir Mühe beim Kehren und Wischen des Gangs, beim Beamtenkloputzen, beim Essenausteilen und, na ja, das mit dem Büro habe ich meist René überlassen – irgendwie galt die Regel: Knast essen nicht nur Seele, sondern auch Hirn auf, und ich konnte und wollte mir einfach nicht so genau merken, welche Büroeinzelteile nach dem Putzen wieder wohin müssen.
In der letzten Woche vor dem D-Day am 29. Juli 2010 hatte ich meinen Kindern gesagt: »I hope to be out next week«, und mich in der Hoffnung, nächste Woche draußen zu sein, zum ersten Mal nicht für einen neuen Telefontermin verabredet. Jeden Morgen um Viertel vor acht rief ich Anwalt Birkenstock an in der Hoffnung, irgendeine Mut machende Wasserstandsmeldung für mich herausdestillieren zu können. Ich hörte den Satz, den ich schon so oft gehört hatte, den ich aber diesmal zu glauben versuchte: »Die müssen Sie rauslassen.« Ich vereinbarte mit ihm, sofort Haftbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einzulegen, wenn das Oberlandesgericht Seidlingbockbültmann folgen würde.
Am 28. Juli 2010 wurden wir Schänzer abends noch mal per Lautsprecher zusammengerufen; ein Gewitter hatte mal wieder die Katakomben der JVA überschwemmt, und wir sollten die Böden in den »Bunkern« sauber machen, die ein nasses Gemisch aus Schlamm und Kakerlaken bedeckte. Ich fragte mich jede Sekunde, wo ich in vierund zwanzig Stunden sein würde.
Nach einer kurzen Nacht mit wenig Schlaf war es endlich der 29. Juli 2010. Zum ersten Mal konnte ich weder morgens noch mittags etwas essen, um Viertel vor acht wieder ein Telefonat mit Anwalt Birkenstock, der anschließend mit seiner Frau Richtung Mannheim fuhr, um mich abzuholen, aber eben nicht wusste, ob die Fahrt ebenso vergeblich sein würde wie die etlichen Male zuvor, als Mannheim mich eigentlich hätte freilassen müssen, aber nicht gewollt hatte.
Ich erfuhr, dass die Entscheidung gegen Mittag fallen würde, und verteilte mit Grummeln im Bauch zusammen mit René das Essen, setzte mich in seine Zelle, sah ihm beim Essen zu und wartete, dass irgendwas passierte. Noch nie im Leben hatte ich eine solche Spannung und gleichzeitig Ohnmacht gespürt, Gefühle, denen ich später vor Gericht noch oft begegnen würde: Eiferer hatten von meinem Leben Besitz ergriffen und versuchten, meine Existenz, aus welchen Gründen auch immer, zu zerstören. Doch die Wahnsinnigen mussten kurz pausieren, bevor sie wieder von der Kette gelassen würden. Heute war der Tag des Oberlandesgerichts Karlsruhe.
»Kachelmann«, hörte ich die Stimme von G. bis in die Zelle 1308, wo wir auf die Zeit zum Töpfeeinsammeln warteten. »Kachelmann, kummemol her!«
Wäre der Fernseher eingeschaltet gewesen, hätten wir die Breaking News schon gekannt, aber ich wollte und konnte die Entscheidung nicht sehen, irgendwie wollte ich die Mutter aller Nackenschläge, wenn sie denn kommen würde, nicht vom Fernsehen vorgesetzt bekommen.
Ich ging mit hundertachtzig Puls ins Büro von G., und er sagte die Worte, die ich wohl nie vergessen werde: »Jetzt sammle mer ersch die Töpf ei, und denn machsch dich ferdich.«
Mir schossen sofort die Tränen in die Augen, und G. machte das einzig Richtige, ging raus, schloss mich für zwei Minuten in seinem Büro ein, und als er wiederkam, hatte ich mich schon gefasst und sagte zu ihm: »Okay, von mir aus können wir die Töpfe einsammeln.«
Ich sah, dass G. sich sehr für mich freute, und das war auch der Grund für die Rührung gewesen, von der ich mich gerade erholte. René und ich umarmten einander, ich hatte es geschafft, gleichzeitig tat es mir leid, dass ich ihn nun im Knast zurücklassen musste. Er hatte Revision eingelegt, für den Fall, dass es bei mir noch länger ginge, um gemeinsame Zeit zu gewinnen – es ist angenehm, einen guten
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