Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)

Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)

Titel: Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kachelmann , Miriam Kachelmann
Vom Netzwerk:
nicht zum Spaß fragten. Zuweilen erschien es mir auch so, dass man mit den Fragen pädagogisch auf mich einwirken wollte. Man erfragte sehr peinliche und unangenehme Sachen, offenbar in der Hoffnung, dass ich später in mich ginge und es nie wieder tun würde. Ich begegnete diesen Versuchen, so gut ich konnte, mit Humor und Stolz. Ich hatte nichts Falsches gemacht. Die Kammer machte das Falsche, denn sie erfragte und hinterfragte Dinge, die in das Reich der Privat sphäre gehörten und nie für andere Augen und Ohren bestimmt waren als für den, mit dem man diese Dinge getan hat. Einen nachvollziehbaren Zusammenhang zum Verfahren gab es nicht.
    Im Laufe der Befragung durch die Richter konnte ich dennoch immer besser mit ihrer Vorgehensweise umgehen, da ich dieses Prinzip relativ schnell erkannte und sich bei mir ein natürlicher Widerstand aufbaute: Je mehr sie versuchten, mich bloßzustellen oder mich mit ihren kleinen Anmerkungen und Nachfragen zu belehren, umso mehr verlor ich den letzten Respekt vor ihnen, was wiederum mein Selbstbewusstsein anhob. Wenn das nicht so geschehen wäre, wäre ich in dieser Befragung vermutlich zusammengebrochen.
    Ich habe meiner Familie und meinen Freunden später auf Nachfrage berichtet, dass ich weniger von mir preisgegeben hätte und es angenehmer für mich gewesen wäre, wenn ich in diesem Saal hätte nackt und breitbeinig sitzen müssen. Das ist zwar ein krasser Vergleich, aber er war dennoch nicht übertrieben. Die Dinge, die ich dort erzählen musste, hätte ich nicht einmal meinem Psychologen erzählt, wenn ich denn einen hätte.
    Ich weiß nicht, ob Richter sich der Auswirkungen ihrer Befragungen bewusst sind oder ob sich vielleicht auch eine gewisse Eigendynamik entwickelt, wenn man schon lange Richter ist, einen Zeugen, der stundenlang in diesem Saal sitzt, schon ein wenig zu kennen glaubt und sich in dieser allmächtigen Position befindet, in der man mehr oder weniger alles erfragen kann, was das Herz begehrt. Für mich hatte die Atmosphäre im Gerichtssaal etwas Unwirkliches, ohne Bezug zur Realität oder auch nur zum Verfahren. Ob das für die Gegenseite auch so war? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass das die freundlichste aller Deutungen ist. Im Nachhinein ist mir klar geworden, dass es auch aus diesem Grund richtig und wichtig gewesen wäre, die Öffentlichkeit nicht auszuschließen, denn die Richter hätten unter den Augen des Publikums sicher die Notwendigkeit einer jeden Frage genauer geprüft, als sie es ohne diese Kontrolle taten. Jörgs späterer Anwalt Johann Schwenn hatte das von seinem ersten Prozesstag an erkannt und zwang die Kammer deshalb in solcherlei Situationen zur Wiederherstellung der Öffentlichkeit. Birkenstock hingegen schien kein Mittel gegen eine allzu neugierige und indiskrete Kammer zu finden.
    Die erste Stunde hatten mich nur Dr. Bock und der Vorsitzende Michael Seidling befragt, und ich wunderte mich zuweilen, warum sich Daniela Bültmann, die Berichterstatterin, die auch das schrift liche Urteil verfassen würde und die den unsäglichen Haftfortdauerbeschluss geschrieben hatte, so ruhig verhielt. Sie blätterte nur bei manchen meiner Antworten bedrohlich in einem großen Aktenordner, schrieb viel mit und blickte manchmal argwöhnisch, wie mir schien, zu mir herunter. Ich ahnte, dass sie mich wohl nicht sonderlich sympathisch fand.
    Irgendwann fiel sie mir bei einer Antwort, in der es um eine Datierung ging, überraschend ins Wort und meinte, dass das, was ich eben gesagt hätte, so ja wohl nicht stimmen könne. Ich war irritiert über die unfreundlichen ersten Worte, die sie zu mir sprach, dachte über ihren Einwand nach und verneinte dann dessen Richtigkeit. Ihr Einwand war unbegründet gewesen. Ich hatte ein bestimmtes Detail zeitlich in den Sommer des Vorjahres eingeordnet, und sie behauptete, dass das, worum es ging, ja erstmals im Juni oder Juli in SMS -Nachrichten von Jörg und mir aufgetaucht sei, als ob diese Monate nicht zum Sommer gehörten. Kutsch neben mir nuschelte, empört über diesen Einstand der Richterin, vor sich hin und sagte dann etwas zu Frau Bültmann, woran ich mich nicht mehr erinnern kann, denn ich war einen Moment lang doch recht aufgewühlt. Selbst wenn meine Angabe wirklich objektiv falsch gewesen wäre: So what? Ich hatte mehrmals zuvor erklärt, dass mir die Dinge in Bezug auf ihre zeitliche Fixierung so detailliert nicht mehr im Kopf seien, schließlich speichert man Erinnerungen nicht kalendergleich

Weitere Kostenlose Bücher