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Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)

Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)

Titel: Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kachelmann , Miriam Kachelmann
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ich Kontakt hätten und ob wir noch zusammen seien und wie ich denn die Beziehung sehen würde. Was auch immer diese Frage am 15. September 2010 vor dem Landgericht Mannheim mit dem angeblichen Tattag am 8. Februar 2010 zu tun hatte …
    Bild hatte an diesem Prozesstag ein Statement aus meiner polizeilichen Vernehmung gebracht und dabei den Eindruck erweckt, als handele es sich um eine aktuelle Aussage. Tatsächlich hatte diese Vernehmung knapp über eine Woche nach Jörgs Verhaftung stattgefunden, und als ich seinerzeit zu meiner Position gegenüber Jörg gefragt worden war, hatte ich mich als seine »feste Lebenspartnerin« bezeichnet. So sah ich mich jetzt nach allem, was ich gelernt hatte, nicht mehr, ohne allerdings eine neue Bezeichnung für den Status unserer Beziehung gefunden zu haben. Ich hatte, um genau zu sein, keine Ahnung, wo wir standen. Ich atmete kurz tief durch und antwortete: »Da es meine Erziehung und mein allgemeiner Umgang mit Menschen nicht erlauben, über die Bunte Schluss zu machen, ist noch nichts passiert seit Jörgs Verhaftung.« Die Beziehung liege aufEis, bis man über alles reden könne, denn schließlich habe man ja keinen Kontakt und auch keine Möglichkeit dazu.
    Die Kammer war sichtlich irritiert. Es lag offenbar nicht in ihrer Vorstellungskraft, dass jemand, der betrogen worden war und davon auch noch auf die denkbar ungünstigste Art und Weise erfahren musste, dem anderen zumindest die Chance ließ, darüber zu reden. Und das, obwohl gegen den anderen auch noch ein Verfahren mit einem stigmatisierenden Vorwurf anhängig war und man sich monatelang nicht gesehen hatte. Ein solches Verhalten ist vielleicht nicht selbstverständlich, aber es ist auch nicht übernatürlich.
    Mir kam es in der Folgezeit so vor, als ob man versuchte, mich von meiner neutralen Offenheit Jörg gegenüber abzubringen, indem man mir viele Details der angeblichen Tatnacht präsentierte und zu bewerten gab, die man mir mit Sicherheit nicht hätte zeigen müssen. Schließlich war ich weder Psychologin noch Rechtsmedizinerin noch Spurentechnikerin, also warum führte man mir Spermaspuren und dreckiges Bettzeug vor? Ich konnte mir diese Vorhalte nur als pädagogische Maßnahmen erklären. Zu diesen »Begutachtungen« wurde ich nach vorn zum Richtertisch zitiert. Zu meiner Verwunderung stand beim ersten Mal nicht nur ich auf, sondern sämtliche Gutachter und auch die Verteidigung erhoben sich. Das ist üblich, denn alle Verfahrensbeteiligten müssen immer alles sehen können, was einem Zeugen gezeigt wird. Das wusste ich damals aber noch nicht.
    Während ich also in einer netten Runde von ungefähr zehn Personen vor dem Richtertisch stand und wir uns, aus meiner unmaßgeblichen Sicht, ganz alltägliche Sexspuren ansahen, stellte mir Richter Bock allerlei Fragen rund um die Menstruation einer Frau. Ich gab ihm die notwendige »Nachhilfe«. Tatsächlich fragten die Richter oft nach Sachen, bei denen ich mir nur schwer vorstellen konnte, dass sie einem Erwachsenen nicht bekannt oder geläufig waren; ein Umstand, der mich weiter an der Kompetenz der Richter in diesem Strafverfahren zweifeln ließ.
    Den ersten Preis in Sachen Lebensfremdheit habe ich allerdings innerlich Professor Mattern verliehen, der mich danach fragte, ob, wenn Jörg und ich Sex hatten, die Bettdecke immer auf dem Bett lag, ob wir immer darunter oder auf ihr gelegen hätten, ob sie während des Vorgangs heruntergefallen sei oder wie und überhaupt. Dabei fragte er nicht nach einem spezifischen Ereignis, sondern nach allen Begegnungen, zu allen Jahreszeiten, zu allen Tages- und Nachtzeiten. Auf meine Antwort, dass das sicher immer unterschiedlich gewesen sei, erntete ich großes Staunen und erheblichen Unglauben. Jetzt aller dings auch noch von Richter Bock. Es wurde mehrmals nachgefragt, ob das jetzt meine letzte Antwort zu dieser Frage und ob ich mir sicher sei. Ich sah mir den untersetzten, leicht verärgert blickenden Professor Mattern in seinem Teppichanzug mit seinem malkasten braunen Haar an und war nur noch in einem Punkt ganz sicher: dass wir in zwei grundsätzlich verschiedenen, absolut unüberbrückbaren Welten lebten.
    Die Vernehmung wurde nach neunzehn Uhr für mich unerwartet abgebrochen, als der Vorsitzende bemerkte, dass es ihm leidtäte, aber ich müsse noch einmal kommen. Inhaltlich waren wir, was meine Beziehung zu Jörg anging, irgendwann im Spätsommer oder Herbst des Vorjahres angekommen. Ich konnte es kaum fassen, noch

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