Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
seelischen Verletzungen – beschäftigt. In Situationen wie Kriegen oder Katastrophen hilft sie den Opfern und Betroffenen unter anderem, die Erlebnisse zu verarbeiten. Zudem beschäftigt sie sich mit Gedächtnisstörungen und Verdrängungsmechanismen.
Dieser Punkt wurde von übereifrigen Feministinnen und Opfervereinigungen aufgegriffen, um an den Rechten der Beschuldigten von Sexualverbrechen zu sägen. Denn es drängt sich mittlerweile der Eindruck auf, dass viele dieser psychotraumatologisch inspirierten Psychologen und Psychiater, die solchen Vereinen oft sehr nahestehen, eine Frau, die behauptet, Opfer einer Straftat geworden zu sein, per se als Opfer akzeptieren. Sobald Erinnerungslücken vorliegen oder auch vorgetäuscht werden, die möglicherweise einfach daraus resultieren, dass eine Falschbeschuldigerin nicht zu viele Details erfinden möchte, weil sie unter Umständen rechtsmedizinisch oder kriminaltechnisch nachweisbar wären oder weil es ihr zu kompliziert und riskant erscheint, sich alle zu merken, wird psychotraumatologisch nicht selten eine »traumabedingte Dissoziation« diagnostiziert.
Die Kriterien, nach denen ein Psychotraumatologe beispielsweise eine Posttraumatische Belastungsstörung ( PTBS ) diagnostiziert, sind aber zirkulär, solange die Existenz eines Traumas noch strittig, das heißt noch nicht erwiesen ist.
Wenn eine Vergewaltigung noch nicht bewiesen ist, kann ein Psychotraumatologe streng logisch auch kein Trauma aufgrund einer Vergewaltigung diagnostizieren. So weit ist die Wissenschaft noch nicht – aber trotzdem wird genau das regelmäßig gemacht. Anschließend wird dieses angebliche Trauma wieder als »Beweis« für eine tatsächlich stattgefundene Vergewaltigung im Prozess herangezogen. Ein perfekter Kreislauf der Unwissenschaftlichkeit.
So lief es auch in Jörgs Verfahren. Professor Seidler wollte bei Frau Dinkel ein erhebliches Trauma festgestellt haben, das wiederum eine schwere Posttraumatische Belastungsstörung ausgelöst haben sollte, die die Ursache für ihre angeblichen Erinnerungslücken sei.
Als Grundlage für seine Diagnose gab er dabei beispielsweise folgende Punkte an: die angeblichen Erinnerungslücken (die entgegen jeder Logik Ursache und Wirkung zugleich sein sollen) sowie die Angaben von Frau Dinkel, Albträume zu haben, nicht mehr die Küche betreten zu können, sich nackt nicht mehr vor einem Spiegel ansehen zu können (worauf er sie ermutigte, das doch mal wieder zu tun) und Bindungsängste zu haben.
Auch Frau Dinkels Angabe, dass ihre behauptete Spinnenphobie nach der angeblichen Vergewaltigung auf einmal ebenso verschwunden sei wie ihre Angst vor Gewittern, war für Professor Seidler ein handfestes Indiz. Genauso verhielt es sich mit einem Halstuch, das sie wie ein Mahnmal trug und das auf die Stelle verwies, an der sie verletzt worden zu sein behauptete. Sie trug das Tuch auch im Gerichtssaal, suggerierend, dass sie eine große Narbe darunter verberge, was nie der Fall war.
Das alles waren eigene Angaben von Frau Dinkel, die naturgemäß nicht zweifelsfrei überprüfbar waren wie beispielsweise die Albträume und deshalb auch von Professor Seidler nicht nachgeprüft, sondern schlicht und einfach als wahr unterstellt worden sind. Schließlich, so schreibt er in seinem »Gutachten«, sei es ja unmöglich, ein solches »Minuskriterium« wie das Fehlen einer Erinnerung zu spielen. Laut Professor Seidler ist es also ganz unmöglich zu behaupten, man erinnere sich an etwas nicht, obwohl man sich tatsächlich doch erinnert oder sich schlicht deshalb nicht daran erinnern kann, weil das behauptete Ereignis nie stattgefunden hat. Aha.
Die Richter der 5. Großen Strafkammer in Mannheim schienen trotz aller Offensichtlichkeit der argumentativen und wissenschaftlichen Mängel ganz begeistert über die Ausführungen des Therapeuten ihrer Belastungszeugin – es waren ja auch nur knapp dreißig Seiten zu lesen und nicht so ein dicker Wälzer von über hundertzwanzig Seiten wie bei der Aussagepsychologin Prof. Dr. Greuel, und schließlich stützte er die Anklage und zertrümmerte sie nicht. Alles füge sich »wie ein Zahnrädchen ins andere«, konnte man damals von der Kammer vernehmen, und sie wirkten glücklich und zufrieden, dass man den Kachelmann jetzt doch nicht freilassen musste und kein Gesichtsverlust mehr drohte.
Als das Gericht anordnete, Prof. Dr. Hans-Ludwig Kröber solle die Aussagetüchtigkeit von Frau Dinkel überprüfen, so geschah das also,
Weitere Kostenlose Bücher