Rechtsdruck
war um Viertel nach fünf. Wir waren um
halb sechs hier. Als wir ihn runtergenommen haben, war er noch nicht auf Zimmertemperatur,
also vermute ich, dass er sich, unter Berücksichtigung der äußeren Umstände, erst
nach Mitternacht in sein Büro begeben hat, um sich …« Lehmann warf einen Blick auf
die Menschen ein paar Meter nebenan. »Komm, wir gehen zur Seite«, schlug er vor.
»Sein Name ist Ewald Limbourg«, fuhr der dicke Mann fort, nachdem sie
ihren Standort hinter eine Glastür verlegt hatten, »und er war Staatsanwalt. Viel
mehr wissen wir noch nicht, aber …« Er zog einen aufgerissenen, gefalteten DIN-A4-Umschlag
aus seiner Aktentasche, der in einer etwas größeren Klarsichthülle steckte.
»Das hier hat er hinterlassen.« Damit reichte er Lenz den Umschlag.
Hain streifte Einweghandschuhe über, kramte das Papier aus dem Kunststoff, zog eine
weiße, mit der Hand beschriebene Seite heraus, und begann mit größer und größer
werdenden Augen zu lesen.
Da sich außer der Polizei niemand für diesen Abschiedsbrief interessieren
wird, kann ich mich kurz fassen.
Leider konnte ich mein Leben nicht dazu nutzen,
etwas wirklich Bedeutendes zu schaffen, wie mein Vater es sich von mir gewünscht
und sicher auch verdient gehabt hätte.
Zu seinem großen Glück ist er gestorben, bevor
ich ihm auch noch die Schande meines Freitods zumuten konnte.
Der Mensch, der sich das Leben genommen hat, war schwul, medikamentenabhängig,
und ein gewissenloser Kriecher. Damit ist jetzt Schluss. Wahrscheinlich zum ersten
Mal in meinem Leben übernehme ich nun Verantwortung, und es tut mir leid, dass es
bis zu diesem Tag gedauert hat. Verzeih mir, Vater.
Für die Ermittlungsbehörden habe ich einen Hinweis parat, der mit Dr.
Justus Gebauer zusammenhängt. Der letzte Fall, den ich bearbeitet habe, war eine
Straftat, derer sich Dr. Gebauer schuldig gemacht hat, und die ich auf sein Betreiben
bin vertuschen sollte. Die dazugehörige Akte befindet sich in meinem Schreibtisch.
Er war ein guter Jurist und auch sonst von mäßigem Verstand.
(Ludwig Thoma)
Hain reichte Lenz das Schreiben, doch der winkte ab und ließ sich den
Inhalt vorlesen.
»Wow«, machte der Hauptkommissar, nachdem sein Kollege geendet hatte.
»Das wird vermutlich die Welt in ihren Grundfesten erschüttern, was Gebauer angestellt
hat. Hast du diese ominöse Akte schon gesehen, Lemmi?«, wandte er sich an Lehmann.
Der nickte. »Logo. Ich wollte vermeiden, dass euch irgendwer zuvorkommt
bei der Bergung dieses …«, wieder kramte er in seiner riesigen Aktentasche, »wirklich
interessanten Dokuments.« Damit reichte er die mit einem grünen Deckel versehene
Laufmappe an seinen Kollegen weiter.
Lenz nahm ihm den Karton ab und klappte lustlos den Deckel auf. »Sag
mir lieber, was so interessant ist an dem Ding, Lemmi, sonst verliere ich noch den
Glauben an die Sache.«
Lehmann trat neben ihn, griff nach ein paar Papieren, und nahm sie
aus der Mappe. Dann deutete er auf eine Zeile. »Vielleicht liege ich auch völlig
daneben, aber über den Namen bin ich in der letzten Zeit einfach zu häufig gestolpert.«
Lenz versuchte, die Stelle zu entziffern, auf die der Kollege vom KDD
hinwies, doch ohne seine Brille, die zu Hause auf dem Küchentisch lag, war er machtlos.
Hain erkannte die Situation, griff sich das Dokument, und begann zu
lesen. »Kemal Bilgin.«
Es dauerte einen Augenblick, bis er den Namen zugeordnet hatte. »Kemal
Bilgin?«, rief er, »Kemal Bilgin war Zeuge, als Gebauer Fahrerflucht begangen hat?«
»Was?«, machte Lenz ungläubig. »Das kann doch alles …«
Hains ausgestreckte Hand brachte ihn zum Schweigen. »Doch«, erklärte
der Oberkommissar nach einer kurzen Lektüre des Dossiers, »die Faktenlage ist glasklar.
Gebauer ist einer Frau ans Auto gefahren und danach abgehauen, und Kemal Bilgin
hat es beobachtet. Kein Zweifel, die Sache ist eindeutig.«
Lenz blickte noch immer ungläubig in die Runde. »Nur dass ich es richtig
verstehe, Männer: Kemal Bilgin hat ein Scharmützel mit dem erschossenen Gerold Schmitt
am Laufen gehabt, war aber außerdem Zeuge eines Unfalls, den Justus Gebauer verursacht
hat und abgehauen ist. Zudem stand er bis gestern Abend unter dem dringenden Tatverdacht,
seine Familie umgebracht zu haben. Dazu kommt, dass Frank Weiler, der Schmitt im
Krankenhaus besucht hat, irgendwie mit Gebauer zu tun hat, sonst hätte er ihm nicht
während der Pressekonferenz etwas zugeflüstert.« Er schüttelte den
Weitere Kostenlose Bücher