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Rechtsdruck

Rechtsdruck

Titel: Rechtsdruck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias P. Gibert
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griff,
etwas herauszog, und es am unteren Ende des Bettes ablegte, direkt neben seinem
linken, dem frisch operierten Fuß. Und natürlich bekam er auch nichts davon mit,
dass die Person mit geschickten Fingern den Kunststoffdurchlass des Infusionstropfes
auf null drehte und danach den Anschluss an der Braunüle herauszog. Hätte Schmitt
gesehen, dass die Finger danach zum unteren Ende des Bettes und der mitgebrachten
Spritze griffen, sie auf den Infusionsanschluss aufsetzten und langsam den Kolben
nach unten drückten, wäre ihm vermutlich gedämmert, dass diese Nacht ein böses Ende
für ihn nehmen würde. So aber lag er auf dem weißen Laken des Krankenbettes, träumte
von einem, wie er fand, saugeilen Fick an einem einsamen Strand irgendwo am Ende
der Welt und ahnte nicht, dass die Uhr seines Lebens in den nächsten Sekunden abgelaufen
war. In dem Augenblick, in dem die Luftblase, die ihm von seinem ungebetenen Gast
in die Vene injiziert worden war, das Herz erreicht hatte, bäumte Schmitt sich kurz
auf, weil kein Schmerzmittel der Welt dieses Gefühl unterdrücken konnte. Dann jedoch
fiel er zurück und starb.
    Die dunkel gekleidete Gestalt zog die Pumpe aus der Braunüle, schob
sie zurück in die Tasche, steckte den Schlauch der Infusion wieder an und gab der
Flüssigkeit in dem Kunststoffbeutel über seinem Kopf durch einen Dreh am Dosierer
den Weg frei. Für einen kurzen Augenblick spannten sich die Züge der Person, weil
das Licht des Flures, das unter der Tür in dem Raum zu sehen war, einen Wimpernschlag
lang im Schatten lag. Offenbar war jemand an der Tür vorübergegangen. Nach einem
kurzen Moment des Wartens drehte sich die Gestalt um, schob sich zwischen den beiden
Vorhangseiten hindurch, öffnete das Fenster und stieg aus dem ebenerdigen Krankenzimmer
hinaus ins Freie. Dort zog sie mit einem kräftigen Ruck das Fenster hinter sich
zu und machte sich lautlos über die Gitterroste direkt an der Fassade davon, immer
darauf bedacht, keine Spuren zu hinterlassen.

9
     
    Im dichten Schneetreiben stiegen die beiden Polizisten aus dem kleinen
japanischen Cabrio, das Hain sowohl im Sommer wie auch im Winter benutzte, und standen
ein paar Sekunden später vor einem riesigen Klingelbrett des Hauses in Waldau, an
dessen Oberseite in schwarzen, großen Lettern Waldemar-Petersen-Straße 12 zu lesen
war. Darunter befanden sich neben den dazugehörigen Klingeltastern etwa 80 Namensschilder,
die teilweise vom Schnee bedeckt waren.
    »Oh, Madonna«, jammerte Hain, »kann der nicht in einem normalen Reihenhaus
wohnen?«
    Lenz fuhr mit dem Ärmel über das Klingelbrett, während sein Kollege
eine kleine LED-Taschenlampe aus der Jackentasche holte, sie einschaltete und die
Reihen durchging. Bei manchen Klingelschildern waren die Namen unleserlich, bei
einigen anderen blickten die Kommissare in ein dunkles, tiefes Loch.
    »Hier«, vermeldete Hain ein wenig später und deutete im Lichtschein
der Taschenlampe auf ein rotes Namensschild in der Mitte der riesigen Tafel.
    »K. Bilgin und S. Wennemeyer. Volltreffer.«
    Lenz sah an der Fassade des Hauses nach oben. An zwei Fenstern war,
trotz der schlechten Sicht wegen des Schnees, Licht auszumachen, bei zwei weiteren
lief der Fernseher, zu erkennen an dem typischen, stakkatoartigen Flackern hinter
den Vorhängen. Der Hauptkommissar ging auf den Eingang zu und drückte die schwere
Glastür nach innen.
    »Bingo«, bemerkte er wenig überrascht. Hain zählte auf dem Klingelbrett
die Etagen ab und folgte seinem Chef.
    »Siebter Stock, wenn die Klingeln nach Stockwerken geordnet sind.«
Er drängte sich an Lenz vorbei in Richtung des Fahrstuhls, doch sein Boss winkte
ab.
    »Es ist deutlich zu früh für eine Exposition, Thilo. Lass uns die Treppe
nehmen.«
    »Feigling«, brummte der Oberkommissar und stapfte nach rechts, auf
die Treppe zu. Hintereinander gehend erklommen sie Stufe für Stufe und hatten wenig
später die siebte Etage erreicht. Dort drückte Lenz den Lichtschalter, woraufhin
an der Decke mehrere Neonleuchten aufflammten.
    »Du links, ich rechts. Wir sehen uns gleich hier wieder«, kommandierte
Hain, sah auf das Namensschild der Wohnung gegenüber und schüttelte den Kopf.
    »Warte«, flüsterte er beim Blick auf die nächste Tür. »Hier ist es.«
    Lenz stellte sich neben seinen Kollegen auf und sah ihn fragend an.
    »Einfach klingeln?«
    »Nee«, erwiderte Hain sarkastisch, »lass uns erst ein Telegramm schicken,
dass wir vor der Tür stehen und uns nicht trauen, ihn

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