Rechtsdruck
ihm zu verdanken habe.
»Und deswegen denke ich, dass ich diesen zweiten Versuch verdient habe.
Umso mehr, als dass sich Kassel in einer wirklich nicht als komfortabel zu bezeichnenden
Position befindet, was das Erscheinungsbild und die Außendarstellung angeht.«
Der Chefredakteur sah ihn mit gespieltem Erstaunen an. »Heißt das,
wir sehen Sie in Zukunft eher als Kommunalpolitiker? Vielleicht als zukünftigen
Bürgermeister von Kassel?«
Die Frage, wie das gesamte Interview zuvor mit Gebauer abgesprochen,
wurde von dem Politiker zunächst mit einem generösen Schulterzucken kommentiert.
»Nun«, gab er danach preis, »eine Entscheidung wie diese lässt sich
nicht übers Knie brechen. Allerdings komme ich nicht umhin festzustellen, dass wir
Bürger von Kassel schon deutlich bessere Zeiten gesehen haben.«
»Nun weichen Sie mir aber aus, Herr Dr. Gebauer.«
»Keinesfalls. Natürlich wäre es eine große Herausforderung, sich um
das Amt des Oberbürgermeisters der Stadt Kassel zu bemühen, aber wie gesagt, entschieden
ist in dieser Sache noch nichts.«
»Lese ich aus Ihren Worten nicht so etwas wie deutliches Interesse?«,
hakte der Chefredakteur nach.
»OB Erich Zeislinger hat bisher einen wirklich tollen Job gemacht,
keine Frage. Allerdings stellen sich mit den Jahren Reibungsverluste und Abnutzungserscheinungen
ein, die selbstverständlich auch an der Art abzulesen sind, wie das Amt geführt
wird und wie die Stadt sich in der schon zitierten Außenwirkung darstellt.«
»Wie darf ich das verstehen?«
»Nun, vermutlich sehen die Bürger die Stadt mit den gleichen Augen
wie ich. Und was ich zu sehen bekomme, gefällt mir nicht immer. Wenn ich nur die
Innenstadt betrachte, da liegt vieles im Argen.«
»Was genau meinen Sie?«
»Mir als Kunden gefällt es beispielsweise nicht, dass sich immer mehr
Geschäfte der Billigketten in der Innenstadt breit machen. Das Bild, das dadurch
erzeugt wird, ist nicht typisch für Kassel, meine ich. Bei uns in der Stadt gibt
es einfach viel mehr als nur diese ›Geiz-ist-geil-Mentalität‹, die von diesen Ketten
ausgeht.«
»Da kann ich Ihnen nur beipflichten, Herr Dr. Gebauer«, kroch der Zeitungsmann
tief in den Hintern des Juristen, »als Kasseler Bürger sehe ich das genauso.«
»Und wenn man es bis zum Königsplatz geschafft hat«, fuhr Gebauer fort,
»muss man sich mit allerlei zwielichtigen Gestalten herumschlagen, die sich bettelnd
und schnorrend dort herumtreiben. Es ist deswegen dringend notwendig, dass wir eine
Gefahrenabwehrverordnung bekommen, die diesen Namen auch verdient, und zwar lieber
heute als morgen.«
»Also sind Sie der Meinung, dass der aktuelle Oberbürgermeister seinen
Amtspflichten nicht mehr in ausreichendem Maß nachkommt?«
»Das haben jetzt Sie gesagt. Ich beziehe mich nur auf Defizite im Erscheinungsbild
unserer Stadt, die dringend beseitigt werden müssten. Allerdings gilt es festzustellen,
dass der von mir hoch geschätzte OB Erich Zeislinger es in der letzten Zeit nicht
einfach hatte, seinen Amtsverpflichtungen nachzukommen, auch befördert durch Ereignisse,
die in seinem privaten Umfeld für Spannungen gesorgt haben.«
»Sie sprechen die Trennung von seiner Frau an?«
»Das gehört sicher dazu, ja. Man kann eine solche Situation nicht losgelöst
vom Amt sehen. Außerdem möchte ich noch einmal an meine Einlassung bezüglich der
Amtszeit von Erich Zeislinger erinnern. Manchmal sollte man einfach erkennen, wenn
es genug ist, denke ich, wenn eine Erneuerung, die natürlich auch personeller Art
sein kann, allen Beteiligten gut zu Gesicht stehen würde.«
»Zurück zu Ihnen und der Zeit, die Sie durchstehen mussten, Herr Dr.
Gebauer«, lenkte der Zeitungsmann das Gespräch gekonnt auf ein anderes ihm wichtiges
Thema. »Nach der Verurteilung durch das Amtsgericht wegen Körperverletzung hatten
Sie sich komplett aus der Politik zurückgezogen. Was bewegt Sie nun, diesen Schritt
zu revidieren? Was genau bewegt Sie zum Rücktritt vom Rücktritt?«
Gebauer ließ sich sehr lange Zeit, bevor er zu einer Antwort ansetzte.
»Lassen Sie es mich so sagen: Ich bin ein vorbestrafter Mann, ein …, ja wirklich,
ich bin ein Gebrandmarkter. Ich kann nur noch einmal darauf hinweisen, dass mir
die Umstände, die zu der damaligen Verurteilung geführt haben, sehr, sehr leid tun.
Ich muss und werde mit dieser Schuld leben, da gibt es gar keine Ausreden. Aber
es muss einem Mann auch gestattet sein, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen,
und das
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