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Rechtsdruck

Rechtsdruck

Titel: Rechtsdruck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias P. Gibert
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des Journalisten Per Stemmler, der vollgepumpt mit Schmerzmitteln und
schlafend in seinem Bett lag. Agata Roggisch war in der Zwischenzeit dreimal an
Obermann vorbeigehetzt, immer mit etwas anderem in den Händen, und in irgendeinem
Zimmer verschwunden. Im Augenblick kümmerte sie sich im Zimmer gegenüber um einen
vollkommen deprimierten Friseur, der sich beim Zuschneiden von Dekorationsmaterial
für seinen Salon mit der Kreissäge ein paar Finger der rechten Hand abgeschnitten
hatte.
    Davon wusste der Polizist auf dem Flur allerdings nichts, und wenn,
hätte es ihn nicht die Bohne interessiert. Alles an ihm war fixiert auf das Treffen
mit seiner Kollegin in gut einer Stunde bei seinem Lieblingsitaliener. Noch kurz
duschen und Zähne putzen, man konnte ja nie wissen, wie sich der Abend entwickeln
würde. Immerhin hatte sie seine Einladung sehr, sehr herzlich angenommen. Und wenn
er an die Blicke dachte, die sie ihm in den letzten Monaten während der Dienstbesprechungen
hatte zukommen lassen, wurde ihm ganz anders.
    Mit der geht was, war er sich vollkommen sicher. Wenn nicht heute,
dann auf jeden Fall in nicht allzu ferner Zukunft.
    Mit deutlich mehr als klammheimlicher Freude und einem Lächeln auf
den Lippen nahm er die aufkeimende Erregung und die leichte Beule in seiner Uniformhose
zur Kenntnis. Wie lange ist das letzte Mal nun schon her? Hoffentlich kriege ich
es noch hin, sinnierte er.
    Der Beamte zuckte verschämt zusammen, weil die große, mit einer matten
Drahtglasscheibe versehene Tür zur Station aufgeschoben wurde und ein komplett in
Weiß gekleideter Mann auf den Flur trat. Der Türflügel hinter ihm fiel langsam in
seine Ausgangsposition, während er freundlich lächelnd auf den Polizisten zukam.
Obermann fragte sich kurz, ob es sich eher um einen Pfleger oder einen Arzt handelte,
kam dann aber zu dem Schluss, dass ihm das völlig schnuppe war. Er senkte wieder
den Kopf und vertiefte sich erneut in den Artikel.
    22,8 Liter Durchschnittsverbrauch auf 100 Kilometer sind schon eine
Hausnummer, sinnierte er. Na ja, sind halt Sportwagen, mit dem man bequem die Familie
transportieren kann, diese SUV.
    Die Schritte, die sich quietschend genähert hatten, verstummten nun
direkt neben ihm. Obermann nahm es nur mit einem halben Ohr wahr, weil er in ein
Bild vom Unterboden des Zuffenhausener Boliden vertieft war. Natürlich kannte er
alle Details des Wagens und wusste über alle noch so unbedeutenden Einzelheiten
Bescheid, trotzdem saugte er jede Kleinigkeit und jedes Bild in sich auf.
    Geiler Unterboden. Damit kannst du durch die Wüste fahren, spritzt
ihn hinterher ab, und alles ist gut.
    Der Blick des Polizisten blieb zwar auf die Bilder der Fotoserie geheftet,
doch in seinem Unterbewusstsein nahm er trotzdem wahr, dass irgendetwas um ihn herum
nicht stimmte. Er hob den Kopf leicht an und streifte mit den Augen die Schuhe des
Arztes oder Pflegers, der vor ein paar Augenblicken den Flur betreten hatte. Nagelneue,
glänzend weiße Sportschuhe mit zwei Streifen.
    Komisch, dachte Obermann, ein Arzt sollte sich wenigstens drei Streifen
leisten können. Soviel Stil sollte schon drin sein.
    Sein Kopf hob sich ein paar weitere Zentimeter.
    Weiße Hosenbeine.
    Noch höher.
    Weißer Kittel.
    Also doch ein Arzt. Die mit den Kitteln sind die Ärzte, fiel es ihm
wieder ein.
    Eine weitere Nuance wanderte sein Kopf nach oben.
    Weiße Handschuhe auch noch. Wozu das denn?
    In der rechten Hand hielt der Mann eine schwarz glänzende, bedrohlich
auf Obermanns Kopf weisende Pistole mit klobigem, unförmig aussehendem Schalldämpfer
vor dem Lauf. Das Automagazin auf den Oberschenkeln des Polizisten setzte sich wie
in Zeitlupe in Bewegung, rutschte nach vorne, über die Knie hinweg und knallte auf
den Boden. In den Ohren des Beamten klang das Geräusch wie ein Schuss. Seine Augen
fixierten das schwarze, Panik auslösende Loch, das sich langsam seinem Kopf näherte
und dabei größer und größer wurde. Obermann wollte den Kopf ein weiteres Stück nach
oben heben, um das Gesicht des Mannes mit der Waffe zu sehen, doch seine Muskeln
versagten ihm den Dienst. So starrte er wie paralysiert und schielend auf das Ende
des Schalldämpfers, das noch maximal 6 Zentimeter von seiner Stirn entfernt war,
und fing dabei immer stärker an zu zittern. Er versuchte, sich an Polizeischulungen
zu erinnern, in denen solche Situationen besprochen worden waren, doch es war ihm
unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen. Das Bild der Kollegin, mit der

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