Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rechtsdruck

Rechtsdruck

Titel: Rechtsdruck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias P. Gibert
Vom Netzwerk:
Gegenstand, aus dessen
Ende sich dünner, blaugrauer Rauch nach oben kräuselte.

30
     
    Justus Gebauer stieg die letzten Stufen zu der großzügigen Altbauwohnung
empor, schloss die Tür auf, schaltete das Licht ein, und trat in den Flur. Nachdem
er seine Ledertasche in der Küche abgestellt hatte, ging er ins Bad, öffnete den
Wasserhahn über der beeindruckenden Wanne und schüttete einen Schuss Badezusatz
in das sprudelnde Wasser. Sofort bildete sich eine Schaumkrone. Mit ruhigen Bewegungen
löste er seine Krawatte, zog sein Hemd aus, ließ die Hose nach unten rutschen und
betrachtete kurze Zeit später seinen nackten, für sein Alter durchaus ansehnlichen
Körper vor dem Spiegel.
     
    Als er sich eine Stunde später im weißen Bademantel und mit noch nassen
Haaren auf die helle Couch fallen ließ, fühlte er sich erschöpft, gleichzeitig aber
auch großartig. Seine Hand griff zur Fernbedienung auf dem Tisch und schaltete den
Fernseher in der gegenüberliegenden Ecke ein. Nach kurzem Suchen hatte er einen
Nachrichtenkanal gefunden, auf dem gerade ein Bericht über die aktuelle Flutkatastrophe
in Asien lief, doch das war ohne jeden Belang für den Juristen. Viel interessanter
war das signalrote Laufband mit weißen Buchstaben im unteren Teil des Bildes, das
in sich permanent wiederholenden Intervallen nur ein einziges Thema hatte: Justus
Gebauer und seine Pressekonferenz in Kassel. Es dauerte etwa 20 Minuten, bis die
stündliche Nachrichtensendung begann, und wieder war der Auftritt des Mannes aus
Nordhessen das beherrschende Thema.
    Erlebt das Land die Geburt des ersten deutschen
Rechtspopulisten seit dem Zweiten Weltkrieg? Der ehemalige hessische Landtagsabgeordnete
Justus Gebauer hat heute überraschend erklärt, seiner angestammten politischen Heimat
den Rücken zu kehren und mit ausländerkritischen Themen und ultrarechten Positionen
als unabhängiger Kandidat in das Rennen um den Kasseler OB-Posten einzusteigen.
Während einer Pressekonferenz in Kassel erläuterte er den anwesenden Journalisten,
wie er sich die Zukunft der Stadt vorstellt und welche Veränderungen in der Kommunalpolitik
er anstrebt. Dabei wurde deutlich, dass der gelernte Jurist keinesfalls vor polarisierenden
Äußerungen zurückschreckt, wenn er Begriffe wie Ghettoisierung und schleichende
Islamisierung ins Spiel bringt.
    Fast schon reflexartig betonten seine ehemaligen
Parteifreunde in ersten Erklärungen, dass es für Gebauer weder in Kassel, noch in
der Landeshauptstadt Wiesbaden, und schon gar nicht in Berlin auch nur die geringste
Unterstützung für seinen rechtspopulistischen Alleingang geben könne. Allerdings
haben sich auch die ersten prominenten Befürworter zu Wort gemeldet. So hat beispielsweise
der bekannte Blogger und Magazinjournalist Heinrich M. Bruder begeistert erklärt,
dass sich ›endlich jemand traut, die wirklich heißen Themen in diesem unserem Land
anzusprechen‹. Und der ehemalige Präsident des Arbeitgeberverbandes, Herbert-Oliver
Hundl, gratulierte Gebauer gar zu seinem ›mutigen Schritt‹, wie er in einem Interview
klarstellte.
    Kritik hagelte es hingegen von Vertretern der
Islamverbände sowie Spitzenkräften der Grünen. So warf etwa die ehemalige Vorsitzende
der Partei, Cornelia Russ, dem Kasseler vor, seine ›verachtenswürdigen Rattenfängerparolen‹
seien gerade einmal dazu angetan, ›im Orkus der Zeitgeschichte zu verschwinden‹.
    Islamabad: Bei einem Bombenattentat auf die
Botschaft der Vereinigten Staaten kamen in der vergangenen Nacht …
     
    Gebauer drückte zufrieden auf den kleinen roten Knopf der Fernbedienung,
die noch immer in seiner Hand lag, und schaltete damit den Fernseher aus. Das, was
er seit ein paar Stunden erlebte, übertraf seine Erwartungen um ein Vielfaches.
Oder um es präziser auszudrücken, von einem solchen Erfolg hätte er nicht einmal
in seinen kühnsten Träumen zu hoffen gewagt. Zu seinem großen Glück war er schon
ein paar Monate zuvor so weitsichtig gewesen, die anonyme Wohnung im Stadtteil Wehlheiden
parallel zu seinem eigenen Haus anzumieten. So konnte er sich nun in aller Ruhe
in diese Räume zurückziehen, während die Meute der Medienvertreter sich am Fasanenhof
mit Kameras und Mikrofonen in den Händen die Beine in den Bauch stand und kalte
Füße holte. Seine Gedanken wurden vom sanften Rasseln seines Mobiltelefons unterbrochen.
    »Ja, bitte«, meldete er sich, und lauschte danach ein paar Sekunden.
    »Das ist ja großartig!«, rief er dann fast euphorisch

Weitere Kostenlose Bücher