RECKLESS HEARTS
Verabschiedung war ein Mix aus männlichem Verhaltensritus, echten Affekten, verbalen Superlativen und gegenseitigem Respekt für die erfolgreiche Zusammenarbeit. Atilla hatte ihm das Versprechen abgenommen, den Kontakt zu halten, hatte ihn beiseite genommen, »Alles Gute, mein Junge« gemurmelt und ihn bewegt an sich gedrückt. Und Alex hatte ihm dankend auf den Rücken geklopft und genickt, hatte diese hartnäckige Ambivalenz in sich wie immer deutlich gespürt, aber auch, dass seine Sympathien für diesen geschniegelten Gentleman-Gangster in diesem Augenblick überwogen.
Ein ahnungsloses Taxi hatte ihn und seinen Rucksack mit dem wertvollen Inhalt nach Hause gebracht.
Er war zurück.
Sylvie war in ihrer Gestik schon immer sehr eindeutig gewesen. Wie zur Strafe hatte er die kleine abgemagerte Gestalt seiner Mutter betrachten müssen, während er ihrem bitteren Trotz und Ärger ins Wohnzimmer gefolgt war.
Sie hatte wie immer in ihrem Ohrensessel Platz genommen, in dem sie stundenlang sitzen und sinnieren konnte, sich die karierte Wolldecke über ihre Beine gelegt und in seine kristallklar leuchtenden Augen gestarrt.
»Ich konnte tagelang nichts Richtiges essen, nur Toastbrot, hörst du. Mein Kopf ist dick und meine Nebenhöhlen sind zu und schmerzen, meine Ohren auch. Ich kriege kaum Luft. Dauernd läuft mir die Nase und meine Augen brennen, und du ... du treibst dich Ewigkeiten herum.«
Alex nickte geduldig, den Kopf ein wenig zur Seite geneigt und sah sie liebevoll an. »Ich hab einen Job gemacht«, erklärte er mit ruhiger Stimme und setzte endlich den Rucksack ab.
Ihre Augenbrauen zogen sich energisch zusammen. »Was soll das für ein Job sein, hm? Privatchauffeur! Wie kommst du aus heiterem Himmel an so einen elitären Job?«
»Übers Internet, weißt du doch«, entgegnete er sofort, »... aber jetzt bin ich wieder da und ... ich hab viel Geld verdient. Ich kann unsere Kredite und Ratenzahlungen allesamt auflösen!«
Gedankenverloren hatte sie ihn angestarrt.
Die stickige Luft im Wohnzimmer war durchmischt mit dem Geruch von Kampfer und Pfefferminz. Alex zog die Vorhänge auf und öffnete die Balkontür.
»Alexander, willst du, dass ich auch noch Bronchitis bekomme?«, rief seine Mutter empört.
»Du musst öfter lüften, Mama, es ist kaum auszuhalten hier drin ... Und warum ziehst du am helllichten Tag die Vorhänge zu?«
Sie schmollte.
»Das Licht da draußen ist zu grell für meine Augen«, beklagte sie sich, »Und jetzt kannst du die Balkontür wieder zu machen, die ganze Wärme geht ja raus ...«
Er wartete einige Sekunden, bevor er die Frischluftzufuhr wie gewünscht beendete. Auf seinen Lippen lag ein hauchdünnes Schmunzeln, als er sich ihr gegenüber auf der Couch niederließ.
Sie musterte ihn skeptisch. »Was hast du da gesagt? Du kannst unsere Schulden begleichen?«
»Genau!«
»Hast du vergessen, wie hoch sie sind?«
»Nein.«
»Kein Privatchauffeur der Welt verdient in so kurzer Zeit so viel Geld, Alex, was willst du mir weismachen?«
Sie schüttelte den Kopf und zupfte nervös an ihrer Decke, die hohe Stirn eigenwillig gekräuselt.
»Kann schon verstehen, dass du Zweifel hast, Mama«, sagte er. »Aber es ist, wie ich es sage, und ich finde, du könntest dich langsam mal ein bisschen freuen.«
Ungläubig starrte sie ihren Sohn an. Ihr Herzschlag beschleunigte sich bei dem Gedanken, dass sie eventuell schuldenfrei werden würden. Ein Gedanke, der unfassbar schien, der sie plötzlich ängstigte, wie alle potenziellen Veränderungen.
»Und wann bekommst du das Geld?«
Seine Augenbrauen zuckten spielerisch. »Hab‘s längst bekommen«, erwiderte er aufgeregt.
»Es wurde schon auf unser Konto überwiesen?«
»Nein.«
»Ach, du hast einen Scheck angenommen? Na, hoffentlich ist er gedeckt!«
Er beugte sich zur Seite, streckte den Arm aus und hievte den Rucksack auf seinen Schoß.
»Alles hier drin«, sagte er mit ernstem Blick, und Sylvie machte ein Gesicht wie ein schockierter Karpfen.
»Ach, man hat dich bar ausgezahlt?«
»Mhm.«
»Du sprichst von einer Geldmenge, die unsere Schulden tilgen könnte, hab ich das richtig verstanden?«
»Hast du ...«, entgegnete er amüsiert.
Sylvie schlug die Hände vors Gesicht. »Alexander!«
Er öffnete den Rucksack und hielt ihn kopfüber über den Couchtisch. Die Geldbündel plumpsten augenblicklich heraus.
Höchst gespannt beobachtete er das kleine Gesicht seiner Mutter. Trotz ihres Alters hatte sie noch etwas
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