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RECKLESS HEARTS

RECKLESS HEARTS

Titel: RECKLESS HEARTS Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eileen Janket
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mindestens noch bis zum Frühlingsanfang reichen, denn vorher würde ihn kein Arzt der Welt gehen lassen.

Juni 1984 Berlin
     
     
    Als Agnes im Café anrief und dringend nach Sylvie verlangte, erschrak Sylvie so sehr, dass sie eine Tasse heißen Cappuccino just vor dem Servieren fallen ließ und, statt den Schlamassel unter den teils betroffenen, teils amüsierten Blicken der Gäste schnell aufzuwischen, zum Telefon stürzte.
    Irgendetwas Schlimmes musste mit Alexander passiert sein. Agnes hätte normalerweise bis zum Abend gewartet, bis Sylvie von der Arbeit zurück wäre, um ihr mitzuteilen, dass sie mit dem Kleinen beim Kinderarzt gewesen war, weil er mal wieder von irgendetwas Hohem herunter gesprungen und sich die Knie aufgeschlagen oder plötzlich Fieber bekommen hatte, wie es bei Dreijährigen nicht selten vorkam ... etwas Harmloses eben.
    Sylvie entriss ihrer irritierten Kollegin den Telefonhörer und klopfte sich mit der flachen Hand hysterisch auf die Brust. Sie musste laut sprechen, damit ihre Stimme vor lauter Panik nicht wegbrach: »Was ist passiert, Mama, warum rufst du an? Ist was mit Alex, sag‘s mir schnell!«
    Es war nicht gerade beruhigend, dass Agnes mehrmals schluchzte und sich die Nase schnaubte, bevor sie zu sprechen begann. Sylvie wurde beinah verrückt dabei.
    »Dein Va… dein Stiefvater ist tot! Sylvie, er ist ganz plötzlich zusammengebrochen, bitte, … komm ... so schnell du kannst.«
    Sylvie war nie erleichterter gewesen, nicht weil sie Theodor Böller von Anfang an nicht gemocht hatte, sondern weil es nicht um Alex ging. Gott sei Dank, Alex ging es gut.

    Die Beerdigung fand bereits vier Tage später an einem Freitag statt. Agnes hatte sehr schnell und sehr sorgfältig alle nötigen Schritte in die Wege geleitet und für eine gelungene Trauerfeier gesorgt, die sich der gute Theodor ihrer Meinung nach nicht anders gewünscht hätte.
    Es waren nur wenige Menschen gekommen, alte Bekannte und ein paar ehemalige Arbeitskollegen, ein kleiner Kreis an Trauergästen, die Agnes und Sylvie ihr Beileid aussprachen und Trost spenden wollten, die aber auch Agnes‘ Kraft und würdevolle Haltung bewunderten.
    Der Pfarrer hatte ein rührseliges Gebet gesprochen und Theodor Böller als ein frommes, herzensgutes Mitglied der katholischen Gemeinde bezeichnet, der gern großzügig gespendet habe …
    Und Sylvie … Sylvie hatte geschluckt und vor Wut am ganzen Körper gezittert, weil sie nicht vergessen konnte, wie Theodor sie tagaus tagein gedemütigt, sie ein »armseliges, kleines Frauchen« genannt und mit Essen, das sie für ihn zubereitet hatte, nach ihr geworfen hatte. Ihre neue Bluse war völlig mit Soße bekleckert worden, und sie war deswegen zu spät bei einem wichtigen Vorstellungsgespräch erschienen. Sie hatte sich so gewünscht, den Job zu kriegen, doch weg war er, ohne dass sie ihre Chance hatte wahrnehmen können. Es gab viele Geschichten dieser Art, alltägliche Gemeinheiten, Sticheleien, sogar spontane Hasstiraden, aber immer nur, wenn Agnes nicht in der Nähe war.
    Sie erinnerte sich auch in aller Deutlichkeit, wie er gegenüber ihren Grundschullehrerinnen bei ausnahmslos jedem Gespräch klarstellen musste, dass sie nicht sein leibliches Kind war, so schwächlich und schüchtern und manchmal recht dümmlich, wie sie doch sei. Sie sei auch wenig ehrgeizig und könne sich nicht für eine Sache begeistern wie andere Kinder. Sie könne keinen Blickkontakt halten, was wohl ein Zeichen für persönliche Schwäche sei. Wie oft hatte er sie subtil oder auch ganz offen und direkt abgewertet, sie beschimpft und niedergemacht, aber immer stets darauf geachtet, dass Agnes nichts davon mitbekam.
    Und Agnes bekam tatsächlich nichts mit. Die Gute mit ihren Blumenbeeten, ihrer Kirchengemeinde, ihren Ängsten vor dem Jüngsten Gericht und den vielen Nachmittagsschläfchen.
    Theodor hatte Sylvie regelrecht aus dem Haus getrieben, obwohl sie sich dafür noch gar nicht reif genug gefühlt hatte und absolut nicht wusste, wie man so ein selbstständiges Leben führte. Ihrer Mutter gegenüber hatte sie jedoch vorgegeben, aus eigenem Willen heraus ausziehen zu wollen, nur um sie zu beruhigen, und hatte sich die nötige Hilfe und Unterstützung für die Erledigung behördlicher Angelegenheiten, von denen sie nicht die geringste Ahnung hatte, notgedrungen bei einer sozialen Beratungsstelle für junge Menschen geholt.
    Sie hatte Agnes, die in Tränen ausgebrochen war, versichert, dass sie imstande sein

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