RECKLESS HEARTS
einem Hochbett geschlafen. Ich würd es aber gern mal ausprobieren und fänd es gut, wenn du unten schläfst, denn sollte ich herunterpurzeln, könntest du mich wieder aufsammeln.«
»Klar, kein Problem, mach ich«, antwortete er viel zu ernst, weil er das Gefühl hatte, von ihren schwarzen Augen eingesogen zu werden und weil ihm bewusst wurde, dass seit seiner Schulzeit kein Mädchen in seinem Zimmer gewesen war. Plötzlich lachte sie los, und nach einer Verzögerungssekunde lachte er mit.
»Hättest du nicht sagen müssen, keine Sorge, du fällst schon nicht runter?« Sie legte den Kopf schief und hob die Brauen.
Verlegen rieb er sich den Nacken. »Schätze schon. Ich ... ähm ... bin nicht sehr schlagfertig.« Jedenfalls nicht bei ihr, das stand schon mal fest.
»Ich auch nicht, nicht wirklich«, behauptete sie, »... sollte mir mal ein guter Spruch einfallen, hab ich ihn garantiert aus irgendeinem Film.«
Sie wandte sich ab, um das Zimmer weiter in Augenschein zu nehmen. Es war offensichtlich, dass er großes Interesse an Computern und allen möglichen elektronischen Geräten besaß, denn er hatte einen gigantischen Schreibtisch, der mit dem ganzen Zeugs vollgestellt war. Zwei große Flachbildschirme standen nebeneinander, ein Scanner, ein Faxgerät, ein Drucker und irgendwelche anderen mysteriösen Geräte. Seine Computertastatur leuchtete grell in den Farben rot, gelb und blau und sah für Selin wie ein Teil eines Raumschiffcomputers aus. Jede Menge Papier, auf denen comicartige Zeichnungen gekritzelt waren, lagen unordentlich herum. An der Wand über dem Schreibtisch hing eine große Pinnwand, die mit Zetteln und Schnipseln, Fotos und diversen Visitenkarten vollgepinnt war.
»Mein Arbeitsplatz«, erklärte er. »Sieht chaotischer aus, als es ist.
»Sieht nach viel Arbeit aus«, antwortete sie. »Bist du Comiczeichner oder sowas?«
»Was ich?«, lachte er auf. »Nein, nein. Ich programmiere Spiele für den PC.«
»Du erfindest PC Spiele?«
»Genau.«
»Oh«
»Tja.«
»Und ist das nicht sehr schwer?«
»Wie meinst du das?« Er runzelte verwundert die Stirn.
»Ich meine, äh, woher holst du deine Inspiration?«
»Ich weiß nicht. Die kommt einfach so. Aber ... also in letzter Zeit hatte sie mich ein wenig im Stich gelassen.«
»Heißt das, du arbeitest gerade an einem Spiel?«
»Mhm.«
»Also, ich verstehe nichts von Computern, null Komma nichts.«
»Oh, aber du hast schon mal an einem gesessen, oder?« Er glaubte, eine scherzhafte Frage gestellt zu haben.
»Nein.«
»Nein?«, wiederholte er ungläubig.
»Wir hatten mal ein Laptop, aber ich habe es nie benutzt, und mein Mann, ähm ... mein baldiger Ex-Mann ... hat ihn einfach weggegeben, weil er ziemlich schnell nicht mehr richtig funktioniert hat und immer wieder einen schwarzen Bildschirm zeigte.«
»Hm. Vielleicht war er virenverseucht und ist deshalb abgestürzt.
»Keine Ahnung, ich hab doch gesagt, ich verstehe nichts von Computern.«
»Und was ist mit Surfen im Internet?«
»Kein Surfen.«
»Nicht dein Ernst.«
»Doch.«
»Noch nie?«
Sie sah ihn kritisch an. »Ich hatte einen kleinen Fernseher im Schlafzimmer und meinen DVD Player, mehr habe ich nicht gebraucht. Ich hatte unzählige Filme. Du findest das alles vielleicht komisch, aber ich hab noch nie ein Handy besessen, und mein Leben fand in einer Blase statt ... ähm ... irgendwie so, keine Ahnung.« Sie umfasste mit den Armen schützend ihren Oberkörper.
»Selin ...«, sagte er, als er den betrübten Zug um ihren Mund bemerkte, »... wir könnten jetzt die Zutaten für dein Gericht einkaufen gehen. Möchtest du?«
Sie nickte. »Ja. Auf jeden Fall. Deine Mutter soll nicht ewig warten müssen.«
Als sie an ihm vorbei auf den Flur trat, presste er sich fester gegen den Türrahmen, roch den Duft ihrer Haare, deren Länge ihn immer noch faszinierte, und spürte zum ersten Mal eine Sehnsucht in sich. Es war eine Weile her, dass er ein Mädchen berührt hatte. Eine Frau ...
In der Ecke zwischen seinem Schreibtisch und der Wand stand sein mit Bargeld gefüllter Rucksack, so, wie er ihn hingestellt hatte, und erinnerte ihn an einige Punkte auf seiner Agenda, die noch erledigt werden mussten.
Mit dieser Notiz im Kopf schaltete er das Licht aus und zog die Tür zu.
»Um die Ecke ist ein türkisch-arabischer Supermarkt«, sagte er, als sie gemeinsam aus dem Haus traten. Eisig klare Nachtluft blies ihnen entgegen. Selin steckte die Hände in die Jackentaschen. Bei
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