RECKLESS HEARTS
Restaurants, ob sie eine Hilfskraft benötigen, oder auch in Hotels.« Selin runzelte verunsichert die Stirn. Es klang alles so naiv, wenn sie es aussprach.
»Hm.«
»Das mit der Sprache ist schon ein Problem, ich weiß«, räumte sie ein, während sie auf die verwirrend bunte Seite starrte, die als Erste erschienen war.
Alex klickte auf einen Link. »Hier gibt‘s Billigflüge in fast alle europäischen Städte. Warte ...«
Er klickte sich weiter durch, während er insgeheim hoffte, es würde sich nichts Passendes finden, zumindest nicht in absehbarer Zeit. Leider gab es aber jede Menge Optionen und kurzfristig buchbare Flüge, wie sie im nächsten Moment erkennen konnten.
»Danzig, Montpellier, London, dann Kopenhagen, Venedig, Madrid, Barcelona und Budapest ... alle unter hundert Euro und ... ähm ... Abflug ab morgen oder später«, las er ihr vor und wartete.
»Hm«, machte sie und beugte sich einen Tick weiter zum Bildschirm vor, was dazu führte, dass sie ihn kurz mit der Schulter am Oberarm streifte. Erschrocken nahm sie wieder ihre vorherige Position ein und ließ sich nichts anmerken. »Und ... we...welches davon ist am Billigsten?«
Alex schluckte. Wie ein Stromschlag war ihm die kurze Berührung durch die Eingeweide gefahren. Inzwischen spürte er deutlich eine Erregung in sich, die garantiert keine Ruhe geben würde, solange er weiterhin so dicht neben ihr saß. Dieser aufregend andersartige Duft, der von ihrer warmen Haut und den langen Haaren ausströmte, machte ihn völlig meschugge.
Reiß dich zusammen , ermahnte er sich und konzentrierte sich auf die aufgerufene Internetseite.
»Madrid und London ...«, begann er und holte erstmal tief Luft, als hätte sein Atem für einen Satz nicht gereicht, »... sind offenbar die günstigsten Angebote hier ...«
In seiner Stimme lag eine dunkle Vibration, die in Selin eindrang und ihre Antwort gefangen hielt.
Ein beidseitiges Schweigen folgte.
»Oh, okay, Spanien und England ...«, sagte sie endlich, nach einer viel zu langen Pause, die sie gebraucht hatte, um seinem Sog zu entkommen. In ihrem Kopf knallte es auf einmal aus allen Richtungen. Ihr Verstand schoss kreuz und quer wie ein Heckenschütze und vertrieb mit jeder Kugel den einlullenden Nebel um sie herum. Die Wahrheit war: Hier bei Alex fühlte sie sich wie auf einer einzigartigen Insel, deren Reiz stetig zunahm, dabei hatte sie von den ... Früchten ... noch nicht mal gekostet. Wie sollte sie die richtigen Entscheidungen treffen, wenn sie sich an ihnen berauschte? Denn genau das würde passieren, oder? Wären sie nicht dasselbe wie die gefährlichen Lotos-Früchte in der Sage um Odysseus? Und war sie nicht auch auf einer Art Odyssee? Nur in ihrem Fall war es nicht die Heimreise, sondern die Suche nach einer neuen Heimat, die sie in ihrem Rausch vergessen könnte - zumindest vorläufig, dabei durfte sie keine Zeit verlieren, musste sich beeilen. Berlin war kein Ort mehr für sie, nur ein riesengroßer Friedhof.
Spanien oder England also?
Spanien war warm, England kalt, aber sie konnte kein Spanisch ... außer »No tengo dinero« oder »Vamos à la playa« ... dafür ein wenig Englisch, genug, um sich durchschlagen zu können. Darauf würde es hinauslaufen, sie würde sich in der ersten Zeit durchschlagen müssen, egal wo sie wäre, mehr würde nicht drin sein. Aber Selin war jung, furchtlos und stark, das wusste sie jetzt. An diesen Attributen konnte sie sich festhalten.
»Ich seh grad, die Preise gelten nicht mehr!«, unterbrach Alex ihre Gedanken. »Wahrscheinlich, weil Weihnachten vor der Tür steht. Zu den Feiertagen schießen sie dann endgültig in die Höhe!« Er schnalzte mit der Zunge und verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Seitenblick streifte wagemutig ihr Profil und machte eine Bruchlandung auf dem Keyboard. Er begann zu schwitzen. Warum sah sie auf einmal so unnahbar aus, dass es seinen Magen schmerzvoll zusammenzog?
»Und wie viel kostet ... zum Beispiel der Flug nach London?«, fragte sie kühl.
Er klickte herum, gab Tegel als Abflughafen ein, und bekam die Daten präsentiert.
»Hier steht ... Hinflug London 155 Euro ... morgen ... 13.Dezember ... um 18 Uhr ... ähm ... Ankunft Ortszeit ... 18 Uhr 55 ... Flugzeit ... 1 Stunde 55 Minuten ...«
Selin überlegte stirnrunzelnd, aber nicht besonders lang.
»Okay, den nehm ich. Wie komm ich denn jetzt an mein Flugticket ran?« Sie rollte mit dem Stuhl etwas zur Seite weg und drehte sich frontal zu Alex.
Er hatte keine
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