- Red Riding Hood - Unter dem Wolfsmond
seine durchbohrte Haut aufplatzte und aus dem Schlitz zwischen der oberen und unteren Brustplatte ein langer Blutstrahl herausschoss.
Und noch immer griffen die Soldaten, einer nach dem anderen, an und ließen dem Wolf keine Ruhe.
Schließlich kam der Hauptmann gelaufen und knallte grimmig mit seiner Peitsche. In seinem eng sitzenden, blitzsauberen Harnisch erinnerte er mehr an eine schöne Statue als an einen Menschen. Sein Bruder stieß mit stolzem Schritt zu ihm. Auch er zog seine Peitsche hervor, die fest aufgewickelt war. Er entrollte sie in Vorbereitung auf den Kampf.
Die beiden Männer näherten sich dem Wolf von zwei Seiten. Ein dritter Soldat ging hinter ihnen, schwer atmend, eine Lanze im Anschlag. Die Brüder bewegten sich geschmeidig auf und ab wie Delfine, während sie mit ihren Peitschen knallten. Die meisten Dorfbewohner hatten Solomons Warnung inzwischen beherzigt und waren in die Kirche geflüchtet. Doch Valerie stand da und sah zu, innerlich so gespannt wie jetzt die Lederpeitschen.
Sie dachten schon, sie hätten ihn.
Doch der gefangene Wolf stemmte seine Läufe gegen den
Boden und begann, rückwärts zu gehen und die Brüder an ihren gespannten Peitschenriemen mitzuziehen.
Die riesigen Männer rutschen durch den Matsch und kämpften mit dem Gleichgewicht, indem sie versuchten, sich weder zu weit nach vorn noch zu weit nach hinten zu lehnen. Ihre Beine zitterten vor Anstrengung. Doch der Wolf hatte mit ihrer beider Gewicht keine große Mühe.
Dann kam es zu einem Bruch, zu irgendeiner unvermeidlichen Entladung von Spannung, und Valerie blieb fast das Herz stehen, als sie sah, wie der Wolf den Hauptmann auf der einen Seite durch den blutgetränkten Schnee schleifte und dessen Bruder auf der anderen Seite über den Platz schleuderte, sodass sein Körper wie eine Sternschnuppe durch die Luft sauste.
Der Bruder des Hauptmanns versuchte, auf die Beine zu kommen, doch der Wolf riss ihn wieder zu Boden.
Valerie blickte zu Vater Solomon, der auf seinem mächtigen Ross saß, und was sie in seinem Gesicht sah, hätte sie niemals für möglich gehalten.
Verunsicherung.
Der Mann, der bei seinem Kommen auf alles vorbereitet schien, hatte sich überrumpeln lassen.
Der Soldat mit der Lanze drehte sich um und schritt auf Solomon zu, der den Kampfplatz scharf im Auge behielt. »Er ist stark – stärker als alle, denen wir bisher gegenübergetreten sind!«
»Hab Vertrauen. Gott ist stärker«, erwiderte Solomon, blickte geradeaus und gab, den Griff seines Schwertes fest in der Hand, dem Pferd die Sporen.
Am anderen Ende des Platzes horchte der Wolf auf, als der Name Gottes fiel. Er wirbelte herum, blickte zu Vater
Solomon und ließ ein leises Knurren vernehmen. Solomon sah der Bestie in die Augen. Er griff zu dem Kruzifix, das er an einer Kette um den Hals trug, und küsste es.
Valerie sah, dass Zweifel,Angst oder was immer Solomon befallen haben mochte, nun von ihm wich und dass er wieder der selbstgewisse Mann und Rächer wurde.
»Gott ist stärker!«
Und damit ließ er die Zügel schnalzen und drückte seinem Ross abermals die Sporen in die Flanken. Im vollen Galopp erhob er sein Schwert – das Schwert des Gotteszorns.
Aber der Wolf wich nicht von der Stelle. Furchtlos. Herausfordernd.
Und dann öffnete er das Maul und stieß ein schauerliches Brüllen aus, das den Boden unter Valeries Füßen erzittern ließ.
Solomons Pferd scheute, bäumte sich auf, überkreuzte die Hufe, stolperte über die eigenen Beine und schleuderte seinen Reiter durch die Luft. Mitten in der Glut des Freudenfeuers schlug er auf dem Boden auf. Eine Funkengarbe schoss in die Höhe und das Pferd jagte mit trommelnden Hufen davon.
Solomon schrie vor Wut und Schmerz und der Wolf schien sich darüber zu amüsieren. Valerie konnte seine Freude im Spiel seiner Muskeln spüren, als er in Richtung Glut stürmte, um seinem hilflosen Feind den Garaus zu machen. Solomon, der sein Schwert verloren hatte und versuchte, dem Feuer zu entrinnen, wusste, dass sein Ende gekommen war.
Zischhhhhhh! Wie aus dem Nichts huschten schräge Schatten über den Platz.
Nein, nicht wie aus dem Nichts – der maskierte Schütze saß auf dem Balkongeländer der Schenke und verschoss mit einer Repetierarmbrust Bolzen mit silbernen Spitzen. Die Bolzen flogen in Richtung des Wolfs, der ein empörtes Knurren ausstieß und mit einem mächtigen Satz auf ein Haus sprang. Pfeil um Pfeil schickte der Armbrustschütze dem über die Dächer hüpfenden
Weitere Kostenlose Bücher