Redwall 01 - Der Sturm auf die Abtei
dann?
Es gab so vieles, was schief gehen konnte. Was hätte denn Martin der Krieger in solch einer Situation getan? Martin hätte wohl gute Miene zum bösen Spiel gemacht und seinem Glück als Krieger vertraut. Genau das würde er auch tun.
Eine Stunde, bevor die Josefsglocke zwölf Uhr schlug, verließ Grauflügel das Nest, um die Geschichte von der Schlange zu verbreiten. Unter dem Spatzenvolk gingen häufig Gerüchte um. Man musste nur am richtigen Ort ein paar gezielte Informationen ausstreuen, der Rest lief von selbst. Schon bald würde es am Hof von König Bullenspatz ein heilloses Durcheinander geben. Später, wenn sich herausgestellt hatte, dass an der Sache nichts dran war, würde sich niemand mehr daran erinnern, wer das Gerücht in Umlauf gebracht hatte – so war es bei den Spatzen schon immer gewesen.
Matthias fühlte sich ganz elend, als er mit Kriegsfeder im Nest wartete. Wenn die falsche Nachricht verbreitet wurde, dann würde das Spatzenmädchen mit König Bulle und den anderen Spatzenkriegern mitfliegen müssen. Die zwei Freunde würden sich vielleicht niemals wiedersehen.
Ihnen blieb jedoch kaum die Zeit, sich voneinander zu verabschieden. Noch bevor sie schwermütig werden konnten, brach am Spatzenhof draußen vor ihrem Nest ein Höllenlärm los.
Grauflügel hatte ihre Sache gut gemacht. Ein lautes Getrommel erfüllte die Luft, so als ob viele Flügel gegen den Holzboden schlügen.
»König rufen alle Krieger«, murmelte Kriegsfeder. »Müssen jetzt gehen. Eines Tages Matthias Maus wieder treffen.«
Kriegsfeder nahm Matthias das Halsband ab. »Mausfreund mich freilassen. Jetzt ich dich freilassen. Kriegsfeder jetzt gehen, Matthias. Gute Wurmjagd!«
Pfote und Kralle wurden geschüttelt. Der junge Mäuserich verabschiedete sich in der Spatzensprache: »Matthias Ausschau halten nach Kriegsfeder. Eines Tages sehen. Du jetzt gehen. Sein mutiges Eiküken. Mächtige Spatzenkriegerin. Großartige Freundin.«
Ein schneller Flügelschlag und Kriegsfeder war fort.
Matthias blieb tief im Nest und zeigte sich nicht. Er lauschte und hörte, wie der Flügelschlag und das Tschilpen der Spatzen langsam immer leiser wurden. Schließlich war es ganz still. Grauflügels Kopf erschien am Nestrand.
»Matthias schnell kommen, keine Zeit verlieren!«
Gemeinsam eilten sie über den verlassenen Hof der Spatzen. Grauflügel wusste, dass in jedem Nest mit kleinen Küken auch Muttertiere waren. Wenn keine Krieger zu ihrer Verteidigung in der Nähe waren, dann blieben diese Vögel allerdings still in ihrem Versteck. Matthias und Grauflügel drängten sich hastig an dem Fetzen Stoff vorbei, der dem König als Tür zu seinem Gemach diente, und begannen mit ihrer Suche.
Die Scheide befand sich nicht mehr hinter der Stuhllehne.
»Oh nein, ich wusste es!«, rief Matthias. »Der hinterhältige alte Bullenspatz hat alles mitgenommen.«
Grauflügel schüttelte den Kopf. »Nein, ich sehen König gehen. Er nicht mitnehmen Gürtel oder Hülle. Weitersuchen, wir alles schnell finden müssen.«
Das Gemach war so spärlich möbliert, dass es gar nicht viel zu durchsuchen gab. Grauflügel flatterte herum, aber Matthias war entmutigt.
»Ach, es hat doch sowieso keinen Sinn!«, rief er. »Es ist weg, alles weg! Hier gibts nur angekaute Essensreste, alte Schindeln, Schmetterlingsflügel und diesen blöden alten Stuhl.«
Enttäuscht versetzte Matthias dem durchgesessenen Lehnstuhl einen kräftigen Stoß. Eines der Stuhlbeine brach ab und der Stuhl fiel nach hinten, wobei ein Gitter aus gekreuzten Leinenstreifen auf der Unterseite zum Vorschein kam.
Grauflügel hüpfte auf den umgekippten Stuhl und zwitscherte vor freudiger Erregung: »Dahin schauen! Dahin schauen! König alles verstecken unter altem Wurmstuhl!«
Durch die Leinenstreifen konnte Matthias das silberbeschlagene schwarze Leder hindurchscheinen sehen. Hastig begannen sie, mit Schnabel, Kralle und Pfote an dem Stoff zu reißen und zu zerren. Staub und altes Polstermaterial wurden aufgewirbelt. Triumphierend zog Matthias die Scheide und den Schwertriemen aus dem aufgerissenen Stuhl.
Endlich hielt er es in Händen: weiches, biegsames, glänzendes schwarzes Leder, verziert und besetzt mit dem reinsten Silber. Die Scheide passte wie angegossen in die meisterhaft gefertigte Halterung am Trageriemen. Dies war ohne Zweifel die Ausrüstung, die Martin, dem Krieger der Abtei von Redwall, persönlich gehört hatte!
»Keine Zeit für Mausträume! Du beeilen,
Weitere Kostenlose Bücher