Reflex
Ideen zu hören, die nicht von ihm stammten, und ich nickte fast ebenso unterkühlt, setzte meinen Weg in den Waageraum fort und dachte im stillen, daß der Jockey Club verrückt gewesen sein mußte. Die derzeitigen Mitglieder des Jockey Clubs waren zum größten Teil fortschrittliche Leute, die ihre Aufgabe, ein großes Unternehmen gerecht zu leiten, mit den besten Absichten und viel Energie erfüllten. Da sie sich zudem selbst wählten, kamen die Mitglieder de facto fast alle aus dem Adel oder der Oberschicht, aber das Ideal der Pflichterfüllung, das man ihnen anerzogen hatte, wirkte sich außerordentlich günstig auf das Renngeschäft aus. Die alte autokratische Riege, die sich jedem Wandel widersetzt hatte, war ausgestorben, und heutzutage wurden weniger hämische Witze über die verknöcherten Köpfe an der Spitze gerissen. Um so mehr überraschte es, daß sie einen zwielichtigen Typen wie den Relgan in ihre Reihen aufgenommen hatten.
Harold war im Waageraum und redete mit Lord White, was mir einen Stich in der Magengegend versetzte, als stünde ein Polizist neben meinem falsch geparkten Auto. Aber allem Anschein nach erkundigte sich Lord White, der mächtige Steward des Jockey Clubs, nicht nach dem Ergebnis des Sandown Handicap-Hindernisrennens oder nach irgendwelchen anderen begangenen Sünden. Er erzählte Harold, daß ein Sonderpokal für Sharpeners Rennen ausgesetzt sei, und daß, falls er ihn gewinnen sollte, neben dem Besitzer auch Harold und ich erscheinen sollten, um unsere Gaben in Empfang zu nehmen.
»Es war nicht als ein gesponsertes Rennen angekündigt«, sagte Harold überrascht.
»Nein … aber Mr. den Relgan hat sich großzügigerweise zu dieser Geste bereitgefunden. Die Übergabe wird übrigens durch seine Tochter erfolgen.« Er sah mir ins Gesicht. »Nore, nicht wahr?«
»Ja, Sir.«
»Haben Sie alles mitbekommen? Gut. Schön.« Er nickte, drehte sich um und ging, um mit einem anderen Trainer zu sprechen, der ein Pferd im gleichen Rennen laufen hatte.
»Wie viele Pokale man wohl stiften muß, um sich in den Jockey Club einzukaufen?« sagte Harold mit gedämpfter Stimme. Und mit normaler Stimme fügte er hinzu: »Victor ist hier.«
Ich sagte besorgt: »Aber Sharpener wird sein Bestes geben.«
Harold sah belustigt drein. »Aber sicher. Diesmal. Gewinn den Pott, wenn du kannst. Es wäre Victor ein Hochgenuß, den Relgans Pokal zu holen. Sie können einander nicht ausstehen.«
»Ich wußte gar nicht, daß sie sich kennen …«
»Jeder kennt jeden«, sagte Harold achselzuckend. »Ich glaube, sie sind im selben Spielclub.« Sein Interesse erlahmte, er verließ den Waageraum, und ich stand einen Moment planlos herum und sah zu, wie Lord White noch zu einem anderen Trainer ging, um seine Anweisungen loszuwerden.
Lord White war ein gutaussehender, gutgebauter Mann in den Fünfzigern, mit dichtem hellgrauem Haar, das zunehmend die Farbe seines Namens annahm. Er hatte beunruhigend klare blaue Augen und eine Art, die jeden entwaffnete, der sich bei ihm beschweren wollte. Und obwohl er nicht der Senior Steward war, war er der wahre Kopf des Jockey Clubs, dazu geworden nicht durch Wahl, sondern durch seine natürliche Autorität.
Ein aufrechter Mann, allenthalben respektiert, dessen Spitzname ›Schneesturm‹ (der nur hinter seinem Rücken ausgesprochen wurde) wohl nur teilweise aus Bewunderung geprägt worden war. In erster Linie wollte man sich wohl über sein offensichtliches Übermaß an Tugend lustig machen.
Ich ging zum Umkleideraum und zur Tagesordnung über, und war schlechten Gewissens erleichtert, Steve Millace nicht vorzufinden. Keine flehenden Blicke und keine allgemeine Hilflosigkeit, die mich dazu verleiten könnten, auf ein neues irgend etwas zu holen und zu transportieren und die Kranken zu besuchen. Ich legte Tishoos Farben an und dachte nur an das Rennen, in dem er starten sollte. Es war ein Hürdenrennen für den Nachwuchs.
Das Ereignis brachte keine größeren Probleme, aber auch keine Wiederholung der gestrigen Freuden mit sich. Tishoo galoppierte in der Zielgeraden durchaus willig auf den vierten Platz, was seine Besitzerin freute. Und ich trug meinen Sattel zum Zurückwiegen zur Waage und ging dann an meinen Platz im Umkleideraum, um Victor Briggs’ Farben für Sharpener anzulegen. Ein weiteres Stück Tagewerk. Jeder Tag in sich einzigartig, aber im Grunde doch gleich. An die zweitausend Tage war ich in Umkleideräume gegangen, hatte Farben angelegt, das Gewicht prüfen
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