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Reflex

Reflex

Titel: Reflex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
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zweimal tun.
    Auf Daylight war es ziemlich leicht, da er seinen Springstil gut durchhielt, wenn ich auch seine Überraschung über den Geisteswandel seines Reiters spüren konnte. Pferde haben telepathische Fähigkeiten, und mit diesem siebten Sinn erfaßte er meine Verbissenheit sofort, und obwohl ich wußte, daß Pferde so veranlagt sind, war ich aufs neue verwundert. Man gewöhnte sich an eine gewisse Reaktionsweise der Pferde, weil sie auf einen selbst reagierten. Wenn die eigene Einstellung sich radikal änderte, änderte sich auch die Reaktion des Pferdes.
    Daylight und ich lieferten also eine ganz und gar untypische Vorstellung, bei der wir mehr dem Glück als dem Verstand überließen. Er war es gewohnt, seinen Abstand zu einem Hindernis zu taxieren und seine Gangart entsprechend zu ändern; aber angesteckt von meinem Drängen, ließ er das diesmal sein und drückte einfach ab, wenn er ungefähr in der richtigen Entfernung zum Absprung war. Dreimal trafen wir hart die Oberseite des Hindernisses, was für ihn etwas ganz Neues war, und als wir zum letzten kamen und es richtig erwischten, setzten wir darüber hinweg, als wäre es nur ein Schatten auf dem Boden.
    Trotz unseres großen Einsatzes gewannen wir das Rennen nicht. Obwohl wir bis zuletzt nicht aufgaben, wurden wir von einem stärkeren, schnelleren, fiteren (oder was auch immer) Pferd um drei Längen geschlagen und auf den zweiten Platz verwiesen.
    Am Absattelplatz schnallte ich die Sattelgurte auf, während Daylight keuchte und stieg, in einem überaus erregten Zustand, der meilenweit entfernt war von seinem Image als ›sanfte Kuh‹; und Victor Briggs sah ohne sichtbare Gefühlsregung zu.
    »Tut mir leid«, sagte ich zu Harold, als er mit mir zum Wiegen hineinging.
    Er grunzte und sagte nur: »Ich warte auf deinen Sattel.«
    Ich nickte, ging in den Umkleideraum, um die Bleigewichte im Sattel zu wechseln, und kam dann zur Kontrolle für Chainmail zur Waage zurück.
    »Bring dich nicht um«, sagte Harold und nahm meinen Sattel. »Das würde nichts weiter beweisen, als daß du ein verdammter Idiot bist.«
    Ich lächelte ihn an. »Manch einer stirbt beim Überqueren der Straße.«
    »Was du anstellst, hat nichts mit Unfall zu tun.«
    Er entfernte sich mit dem Sattel, und mir wurde bewußt, daß er mir nicht ausdrücklich nahegelegt hatte, bei seinem zweiten Pferd zu einem nüchterneren Stil zurückzukehren. Vielleicht war auch ihm daran gelegen, daß Victor seine Pferde ehrlich laufen ließ, und wenn das nur auf diese Weise zu erreichen war … bitte sehr.
    Bei Chainmail lagen die Dinge insofern anders, als der Vierjährige an sich schon labil war, und was ich mit ihm machte, war ungefähr so, als würde man einen jugendlichen Straftäter zu einem Überfall nötigen. Seine innere Wut, die ihn dazu trieb, gegen seinen Jockey zu kämpfen, an den Hindernissen auszubrechen und andere Pferde zu beißen, mußte mit kühlem Kopf und fester Hand gezügelt werden: so hatte ich das jedenfalls immer gesehen.
    An diesem Tag war das nicht der Fall. Er hatte einen Reiter, der bereit war, jede Aggressivität bis auf das Ausbrechen zu übersehen, und als er am dritten Hindernis den Versuch dazu machte, kassierte er einen so derben Schlag mit der Gerte, daß ich fast spüren konnte, wie er ärgerlich dachte: ›He, das sieht dir aber gar nicht ähnlich‹; und das stimmte auch.
    Er kämpfte und rackerte und stürmte und flog. Ich trieb ihn gegen jeden gesunden Menschenverstand zu seiner höchsten Geschwindigkeit an. Ich ritt mir für Victor Briggs die Seele aus dem Leib.
    Es reichte nicht. Chainmail wurde Dritter von vierzehn. Keine Schande. Vielleicht besser, als man realistischerweise hatte erwarten können. Nur um eine Länge und einen Hals geschlagen. Aber trotzdem Dritter.
    Victor Briggs sah ohne ein Lächeln zu, wie ich den Sattel von seinem zweiten stampfenden, aufgeputschten Pferd abnahm. Ich wickelte die Gurte um den Sattel und blieb einen Moment lang vor ihm stehen. Er sagte kein Wort, und ich auch nicht. Wir sahen uns sekundenlang mit der gleichen Leere in die Augen, und dann ging ich an ihm vorbei zum Wiegen.
    Als ich nach dem Umziehen wieder herauskam, war er nicht mehr zu sehen. Ich hätte zwei Siege gebraucht, um meinen Job zu behalten, und hatte keinen errungen. Draufgängertum war nicht genug. Er wollte Siege. Wenn er bestimmte Siege nicht bekommen konnte, würde er bestimmte Niederlagen verlangen. Wie früher. Wie vor drei Jahren. Wie damals, als ich und

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