Reflex
mein Gott.«
Wir saßen eine Weile still da, bis die neue Tränenflut versiegt war, und sie entschuldigte sich noch einmal dafür, und ich brachte noch einmal mein Verständnis zum Ausdruck.
Ich fragte sie nach ihrer Adresse, damit ich sie mit einem Agenten für Georges Werk in Verbindung setzen konnte, und sie sagte, sie halte sich bei Freunden auf, die in der Nähe von Steve wohnten. Sie wisse nicht, wo sie danach hin solle, meinte sie verzweifelt. Wegen der Brandstiftung besäße sie keine Kleider, bis auf die neuen, die sie trug. Keine Möbel. Nichts, um sich ein Heim zu schaffen. Schlimmer noch … viel schlimmer … sie habe kein Foto von George.
Zu dem Zeitpunkt, als ich Marie Millace verließ, war das fünfte Rennen bereits gelaufen. Ich ging direkt zum Auto, um Lance Kinships Bilder zu holen, und kehrte zum Waageraum zurück, wo ich Jeremy Folk vorfand, der dort auf einem Bein vor der Tür stand.
»Sie werden umfallen«, sagte ich.
»Oh … ähm …« Er setzte vorsichtig den Fuß auf, als würde seine Gegenwart durch das Stehen auf zwei Beinen unumstößlicher. »Ich dachte … ähm …«
»Sie dachten, daß ich vielleicht nicht tue, was Sie wollen, wenn Sie nicht hier erscheinen.«
»Ähm … ja.«
»Da mögen Sie recht haben.«
»Ich bin mit dem Zug gekommen«, sagte er zufrieden. »Können Sie mich nach St. Albans mitnehmen?«
»Mir wird wohl nichts anderes übrig bleiben.«
Lance Kinship sah mich und kam herüber, um seine Fotos in Empfang zu nehmen. Aus reiner Gewohnheit machte ich ihn mit Jeremy bekannt, und fügte Jeremy zuliebe hinzu, daß George Millace in Lance Kinships Haus seinen letzten Drink zu sich genommen hatte.
Während er die Lasche des steifen Umschlags herauszog, warf Lance Kinship jedem von uns einen scharfen Blick zu, dem ein kummervolles Kopfschütteln folgte.
»Ein großartiger Bursche, dieser George«, sagte er. »Ein Jammer.«
Er zog die Bilder aus dem Umschlag und sah sie durch, wobei er die Augenbrauen bis über den Brillenrand hochzog.
»Schön, schön«, sagte er. »Sie gefallen mir. Was wollen Sie dafür?«
Ich nannte eine Summe, die mir ungeheuer erschien, aber er nickte nur, zog eine pralle Brieftasche hervor und zahlte auf der Stelle in bar.
»Weitere Abzüge?« sagte er.
»Sicher. Die sind dann billiger.«
»Machen Sie mir noch zwei Serien«, sagte er. »Klar?«
Wie immer blieb ihm das ›r‹ irgendwo im Hals stecken.
»Komplett?« sagte ich überrascht. »Alle?«
»Natürlich. Alle. Sind sehr hübsch. Wollen Sie mal sehen?«
Er schlenkerte sie auffordernd Jeremy entgegen, der meinte, er würde sie sehr gerne sehen. Und auch er betrachtete Sie mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Sie müssen ein bedeutender Regisseur sein«, sagte er zu Kinship.
Kinship strahlte regelrecht und verstaute seine Fotos wieder in dem Umschlag. »Das Ganze noch zweimal«, sagte er. »Klar?«
»Klar.«
Er nickte und entfernte sich, und bevor er zehn Schritt gemacht hatte, zog er die Bilder wieder hervor, um sie jemand anderem zu zeigen.
»Er wird Ihnen viel zu tun geben, wenn Sie nicht aufpassen«, sagte Jeremy, der ihm nachsah.
Ich wußte nicht, ob ich ihm glauben wollte oder nicht, aber es beschäftigte mich nicht weiter, da meine Aufmerksamkeit von etwas weit Außergewöhnlicherem in Anspruch genommen wurde. Ich stand reglos da, mit starrem Blick.
»Sehen Sie die beiden Männer«, sagte ich zu Jeremy, »die sich da drüben unterhalten?«
»Natürlich sehe ich sie.«
»Einer von ihnen ist Bart Underfield, Trainer in Lambourn. Und der andere ist einer der Männer auf dem Foto von dem Café in Frankreich. Das ist Elgin Yaxley … aus Hongkong heimgekehrt.«
Drei Wochen nach Georges Tod, zwei Wochen nach dem Brand seines Hauses; und Elgin Yaxley war wieder im Lande.
Ich hatte zwar schon einmal voreilige Schlüsse gezogen, aber jetzt durfte man mit Recht annehmen, daß Elgin Yaxley glaubte, das belastende Foto habe sich glücklich in Rauch aufgelöst.
Wenn man ihn da stehen sah, breit lächelnd und voller Selbstvertrauen, durfte man wohl annehmen, daß er sich befreit und sicher fühlte.
Wenn ein Erpresser und sein gesamter Besitz eingeäschert waren, jubilierten die Opfer.
Jeremy sagte: »Das kann kein Zufall sein.«
»Nein.«
»Er sieht ganz schön selbstzufrieden aus.«
»Ein Fiesling.«
Jeremy warf mir einen Blick zu. »Haben Sie das Foto noch?«
»Natürlich.«
Wir sahen eine Weile zu, wie Elgin Yaxley Bart Underfield auf die Schulter klopfte
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