Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Reflex

Reflex

Titel: Reflex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
Vom Netzwerk:
wahrscheinlich heute noch und sehen noch genauso aus.«
    »Wäre ein ausreichend großes Foto nicht sehr teuer?«
    »Im Vergleich zu Privatdetektiven nicht.« Ich überlegte. »Ich glaube, Horse and Hound berechnet nach Platz, egal, um was es sich handelt. Fotos kosten nicht mehr als Text. Ich könnte einen guten scharfen Schwarzweißabzug von Amanda machen … und dann sehen wir einfach mal.«
    Er seufzte. »O.k., gut. Aber mir schwant schon, daß die finanziellen Unkosten für die Suche letztendlich größer sein werden als das Erbe.«
    Ich warf ihm einen Blick zu. »Wie reich ist sie denn … meine Großmutter?«
    »Sie kann genausogut pleite sein, was weiß ich. Sie gibt sich unglaublich geheimnisvoll. Möglicherweise hat ihr Steuerberater eine Ahnung, aber der schweigt wie ein Grab.«
    Wir kamen nach St. Albans und fuhren zum Pflegeheim; und während Jeremy im Warteraum alte Ausgaben von The Lady las, redete ich im ersten Stock mit der sterbenden alten Frau.
    Sie saß von Kissen gestützt im Bett und beobachtete, wie ich ihr Zimmer betrat. Das harte strenge Gesicht war immer noch voll störrischen Lebens, die Augen blickten unerbittlich finster wie eh und je. Sie sagte nichts Nettes wie »Hallo« oder »Guten Abend«, sondern schlicht und einfach: »Hast du sie gefunden?«
    »Nein.«
    Sie preßte die Lippen zusammen. »Versuchst du es?«
    »Ja und nein.«
    »Was heißt das?«
    »Das heißt, daß ich einen Teil meiner Freizeit dazu verwende, sie zu suchen, aber nicht mein ganzes Leben.«
    Sie starrte mich mit zusammengekniffenen Augen an, und ich ließ mich im Besuchersessel nieder und starrte zurück.
    »Ich habe deinen Sohn besucht«, sagte ich. Ihr Gesicht zerfloß einen flüchtigen Moment lang zu einer unkontrollierten, entlarvenden Mischung aus Wut und Abscheu. Ihre leidenschaftliche Enttäuschung überraschte mich etwas. Mir war bereits klar gewesen, daß ein nicht heiratender, keine Kinder zeugender Sohn sie nicht in erster Linie um eine Schwiegertochter und Enkel brachte, die sie vielleicht ohnehin nach bekanntem Muster tyrannisiert hätte, sondern vielmehr um ihren eigenen Fortbestand. Aber mir war nicht bewußt gewesen, daß ihre Suche nach Amanda ihrer Besessenheit entsprang, und nicht ihrem Groll.
    »Dein Erbgut soll sich fortpflanzen«, sagte ich langsam. »Geht es dir darum?«
    »Sonst hat der Tod keinen Sinn.«
    Ich dachte, daß das Leben selbst ziemlich sinnlos war, aber ich sagte es nicht. Man erwachte lebendig, tat, was man konnte, und starb. Vielleicht hatte sie ja recht … daß der Sinn des Lebens darin bestand, sein Erbgut weiterzugeben. Erbgut überlebte durch Generationen von Körpern.
    »Ob es dir gefällt oder nicht«, sagte ich, »dein Erbgut wird vielleicht durch mich weitergegeben.«
    Der Gedanke mißfiel ihr immer noch. Die Muskeln an ihrem Kiefer spannten sich, und schließlich sagte sie mit harter, unfreundlicher Stimme: »Dieser junge Anwalt meint, ich soll dir sagen, wer dein Vater ist.«
    Ich erhob mich schlagartig, unfähig, Ruhe zu bewahren. Obwohl ich gekommen war, um genau das zu erfahren, wollte ich es jetzt nicht mehr wissen. Ich wollte fliehen. Den Raum verlassen. Nichts hören. Ich war auf eine Weise nervös wie seit Jahren nicht mehr. Und mein Mund war klebrig und trocken.
    »Willst du’s nicht wissen?« fragte sie.
    »Nein.«
    »Hast du Angst?« sagte sie verächtlich. Höhnisch.
    Ich stand einfach da und antwortete nicht, wollte es wissen und doch nicht wissen, hatte Angst und doch keine Angst, war völlig durcheinander.
    »Ich habe deinen Vater schon vor deiner Geburt gehaßt«, sagte sie bitter. »Ich kann deinen Anblick noch heute kaum ertragen, weil du aussiehst wie er … wie er in deinem Alter. Schlank … und kräftig … und die gleichen Augen.«
    Ich schluckte und wartete und war wie betäubt.
    »Ich habe ihn geliebt«, sagte sie, die Worte ausspeiend, als seien sie ihr widerwärtig. »Ich habe ihn abgöttisch geliebt. Er war dreißig und ich war vierundvierzig. Ich war seit fünf Jahren Witwe … Ich war einsam. Dann kam er. Er hat mit mir zusammengelebt … Wir wollten heiraten. Ich habe ihn angebetet. Ich war dumm.«
    Sie hielt inne. Es gab auch keinen Grund, fortzufahren. Ich wußte den Rest bereits. Der ganze Haß, den sie all die Jahre für mich empfunden hatte, war endlich geklärt. So einfach erklärt … und verstanden … und vergeben. Entgegen aller Erwartung empfand ich plötzlich Mitleid mit meiner Großmutter.
    Ich holte tief Luft. Ich sagte:

Weitere Kostenlose Bücher