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Reflex

Reflex

Titel: Reflex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
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›Auserwählte der Göttlichen Gnade‹. Alles Unsinn. Schädlicher Unsinn.«
    Mir blieb schier die Luft weg.
    »Ich schicke Jane das Geld«, sagte ich. »Und vielen Dank.«
    »Was war denn?« sagte Clare, als ich den Hörer langsam auflegte.
    »Die erste echte Spur von Amanda.«
    Ich erzählte ihr von der Anzeige in Horse and Hound und von den Bewohnern von Pine Woods Lodge.
    Clare schüttelte den Kopf. »Wenn diese ›Auserwählten‹ wissen, wo Amanda ist, werden sie es dir nicht sagen. Du hast doch sicher schon von ihnen gehört? Oder von andern von der Sorte. Nach außen hin sind sie freundlich und lächeln, aber hinter der Fassade verbergen sich stählerne Rattenfallen. Sie ködern Leute in meinem Alter mit Freundlichkeit und süßen Liedern und fangen sie im wahren Glauben, und wenn die armen Schweine erst mal drin sind, kommen sie nie mehr raus. Sie lieben ihr Gefängnis. Ihre Eltern haben kaum mehr eine Chance.«
    »Ich hab mal von so was Ähnlichem gehört. Aber nie verstanden, worum es dabei geht.«
    »Geld«, sagte Clare kurz und knapp. »All die lieben kleinen ›Auserwählten‹ schwärmen mit frommen Gesichtern und Sammelbüchsen aus und bringen die Kohle rein.«
    »Um davon zu leben?«
    »Klar, um davon zu leben. Und um die Sache zu fördern, oder mit anderen Worten, um die Taschen ihres großen Führers zu füllen.«
    Ich kochte Tee, und wir tranken ihn am Tisch.
    Amanda in einem Reitstall in Horley; Caroline dreißig Kilometer davon entfernt in Pine Woods Lodge. ›Auserwählte der Göttlichen Gnade‹ in Pine Woods Lodge und ›Auserwählte‹ in Horley. Diese enge Verbindung konnte kein Zufall sein. Selbst wenn ich nie herausfand, wie alles zusammenhing, stand fest, daß es eine logische Folge von Ereignissen gegeben hatte.
    »Sie ist vielleicht nicht mehr dort«, sagte ich.
    »Aber du gehst hin?«
    Ich nickte. »Am besten morgen nach dem Rennen.«
    Als wir mit Teetrinken fertig waren, sagte Clare, daß sie sich die ›Jockeyleben‹-Mappe noch einmal ansehen wollte, und wir nahmen sie mit nach oben, und ich projizierte für sie einige Bilder vergrößert an die Wand. Und wir redeten über ihr Leben und über meins und über nichts Bestimmtes, und später am Abend gingen wir in das gute Gasthaus nach Ashbury zum Steakessen.
    »Ein toller Tag«, sagte Clare lächelnd beim Kaffee. »Wo fährt der Zug ab?«
    »Swindon. Ich fahr dich hin … du kannst aber auch bleiben.«
    Sie sah mich offen an. »Ist das die Art von Einladung, für die ich es halte?«
    »Würde mich nicht wundern.«
    Sie schlug die Augen nieder und hantierte mit ihrem Kaffeelöffel, wendete ihm ihre ganze Aufmerksamkeit zu. Ich sah den gebeugten, dunklen, nachdenklichen Kopf und wußte, daß sie nicht bleiben würde, wenn sie so lange überlegen mußte.
    »Es gibt einen Schnellzug um halb elf«, sagte ich. »Den kannst du bequem erreichen. Etwas über eine Stunde bis Paddington.«
    »Philip …«
    »Schon gut«, sagte ich leichthin. »Wer nie fragt, bekommt nichts.« Ich zahlte die Rechnung. »Komm.«
    Sie war ausgesprochen schweigsam auf der zehn Kilometer langen Fahrt zum Bahnhof und behielt ihre Gedanken für sich. Erst als ich (trotz ihres Protestes) ihre Fahrkarte gekauft hatte und wir auf dem Bahnsteig warteten, deutete sie an, was ihr im Kopf herumging, aber auch da nur indirekt.
    »Im Büro ist morgen eine Vorstandssitzung«, sagte sie. »Die erste, an der ich teilnehme. Bei der letzten, vor einem Monat, bin ich zur Geschäftsführerin ernannt worden.«
    Ich war überaus beeindruckt und sagte ihr das auch. Es war sicher nicht üblich, daß ein Verlag ein zweiundzwanzigjähriges Mädchen in den Vorstand holte. Ich begriff auch, warum sie nicht bleiben wollte. Warum sie vielleicht nie bleiben würde. Das Bedauern, das ich verspürte, erschreckte mich durch seine plötzliche Heftigkeit, denn meine Einladung war keine verzweifelte Bitte, sondern nur ein Vorschlag für einen vorübergehenden Zeitvertreib gewesen. Ich hatte es als kleinere Geschichte gesehen, nicht als lebenslange Verpflichtung. Mein Verlustgefühl auf dem Bahnsteig schien völlig unangemessen.
    Der Zug kam, sie stieg ein, und wir küßten uns in der offenen Tür. Kurze, leidenschaftslose Küsse, kein Fortschritt seit Montag an der Haustür.
    Sie sagte, bis bald, und ich sagte ja. Wegen der Verträge, meinte sie. Viel zu besprechen.
    »Komm doch am Sonntag«, sagte ich.
    »Ich sag dir Bescheid. Wiedersehen.«
    »Wiedersehen.«
    Der ungeduldige Zug stampfte rasch

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