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Reflex

Reflex

Titel: Reflex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
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nicht mehr anbieten. Der Trainer würde rücksichtslos auf Schnelligkeit setzen, und das Pferd würde beim ersten offenen Graben stürzen, und das würde dem Trainer recht geschehen. Schade um das arme Pferd.
    Für mich war die große Erleichterung des Nachmittags die Abwesenheit von Lord White.
    Und die große Überraschung des Nachmittags war die Anwesenheit von Clare.
    Sie wartete vor dem Waageraum, als ich meine Straßenkleidung wieder angezogen hatte und den Heimweg antreten wollte.
    »Hallo«, sagte sie.
    »Clare!«
    »Dachte, ich komm mal vorbei und seh mir die Sache live an.« Ihre Augen lächelten. »War heute ein typischer Tag?«
    Ich sah in den grauen, windigen Himmel und auf die kümmerliche Donnerstagszuschauermenge und dachte an meine drei unspektakulären Rennen.
    »Ziemlich typisch«, sagte ich. »Wie bist du hergekommen?«
    »Mit dem Rennzug. Sehr lehrreich. Und ich bin den ganzen Nachmittag mit Stielaugen durch die Gegend gelaufen. Ich hatte ja keine Ahnung, daß man Aal in Aspik tatsächlich essen kann.«
    Ich lachte. »Ich hab nie einen aus der Nähe gesehen. Ähm … wonach steht dir der Sinn? Ein Drink? Eine Tasse Tee? Eine Fahrt nach Lambourn?«
    Sie überlegte kurz. »Lambourn«, sagte sie. »Ich kann ja von dort mit dem Zug zurückfahren.«
    Ich fuhr sie mit einem ungewohnten Gefühl der Zufriedenheit nach Berkshire. Es war ein gutes Gefühl, sie im Auto neben mir zu haben. Ganz natürlich. Vielleicht weil sie Samanthas Tochter war, dachte ich sachlich.
    Das Haus war dunkel und kalt, aber bald erwärmt. Ich ging durch die Räume, schaltete Lampen und Heizung an und setzte Teewasser auf, und dann klingelte das Telefon. Ich ging in der Küche dran, wo es gerade eingestöpselt war, und mir platzte schier das Trommelfell, denn eine durchdringende Stimme schrie: »Bin ich die erste?«
    »Hm«, sagte ich zusammenzuckend und hielt den Hörer von meinem Ohr weg. »Die erste was?«
    »Die erste!« Eine sehr junge Stimme. Ein Kind. Weiblich. »Ich probier’s schon stundenlang , alle fünf Minuten. Bin ich jetzt die erste oder nicht? Bitte sagen Sie, daß ich die erste bin.«
    Die Erkenntnis dämmerte. »Ja«, sagte ich. »Du bist die allererste. Hast du Horse and Hound gelesen? Die Nummer kommt erst morgen raus …«
    »In den Buchladen von meiner Tante kommt sie donnerstags.« Es klang, als ob jeder halbwegs Normale so etwas wissen müßte. »Ich hol sie für Mammi auf dem Heimweg von der Schule. Und sie hat das Foto gesehen und mir gesagt, ich soll Sie anrufen. Krieg ich jetzt die zehn Pfund? Ganz bestimmt?«
    »Ja natürlich, wenn du weißt, wo der Reitstall ist.«
    »Mammi weiß es. Sie sagt es Ihnen. Reden Sie jetzt lieber mit ihr, aber vergessen Sie’s nicht, ja?«
    »Auf keinen Fall«, sagte ich.
    Man hörte Stimmen im Hintergrund und das Klacken des Hörers am anderen Ende der Leitung, und dann sagte eine freundliche, weit weniger aufgeregte Frauenstimme:
    »Sind Sie Philip Nore, der Hindernisjockey?«
    »Ja«, sagte ich.
    Das schien als Referenz zu genügen, denn sie sagte ohne Vorbehalte: »Ich weiß, wo der Reitstall ist, aber ich fürchte, Sie werden enttäuscht sein, er wird nämlich nicht mehr für Pferde genutzt. Jane, meine Tochter, hat Angst, daß Sie ihr die zehn Pfund nicht schicken, wenn Sie das wissen, aber ich bin sicher, Sie tun es trotzdem.«
    »Ich bin auch sicher«, bestätigte ich lächelnd. »Wo ist er?«
    »Nicht weit von hier. In Horley, in Surrey. In der Nähe vom Flughafen Gatwick. Der Stall ist knapp einen Kilometer von unserm Haus entfernt. Er heißt immer noch ›Zephyr Farm‹, aber die Reitschule ist schon seit Jahren geschlossen.«
    Ich seufzte. »Und die Leute, die sie betrieben haben?«
    »Keine Ahnung«, sagte sie. »Ich nehme an, sie haben sie verkauft. Jedenfalls ist sie zum Wohnen hergerichtet worden. Wollen Sie die genaue Adresse?«
    »Ja, gern«, sagte ich, »und Ihre bitte auch.«
    Sie nannte mir beide Adressen, und ich notierte sie mir und sagte dann: »Wissen Sie zufällig, wie die Leute heißen, die jetzt dort wohnen?«
    »Puh«, sagte sie verächtlich. »Die sind eine echte Plage. Ich fürchte, bei denen kommen Sie nicht weiter, egal, was Sie wollen. Sie haben praktisch eine Festung daraus gemacht, um sich wütende Eltern vom Leib zu halten.«
    »Um … was?« sagte ich verblüfft.
    »Eltern, die ihre Kinder dazu bringen wollen, nach Hause zurückzukehren. Es ist so eine Kommune. Religiöse Gehirnwäsche, so was in der Art. Sie nennen sich

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