Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Reflex

Reflex

Titel: Reflex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
Vom Netzwerk:
ging zum Waageraum und ließ mich und meinen Sattel für das letzte Rennen wiegen.
    Ich war genauso schlimm wie George, dachte ich. Haargenau so schlimm. Ich hatte mittels Drohung Geld erpreßt. Es erschien mir gar nicht mehr so gemein, nachdem ich es selbst getan hatte.
    Harold sagte im Führring scharf: »Du wirkst verdammt zufrieden mit dir selbst.«
    »Nur mit dem Leben im allgemeinen.«
    Ich hatte einen Sieger geritten. Ich hatte mit ziemlicher Sicherheit Amanda gefunden. Ich hatte erheblich mehr über George herausgefunden. Ich hatte zwar auch diverse Tritte und Schläge einstecken müssen, aber das war nicht der Rede wert. Alles in allem kein übler Tag.
    »Das hier ist der Hurdler, der bei der Übungsrunde am letzten Samstag Mist gebaut hat. Ich weiß, daß du ihn nicht geritten hast … es war nicht deine Schuld … aber achte bloß darauf, daß er klar und deutlich sieht, wo er drüber muß. Klar? Setz dich an die Spitze und mach das Rennen, damit er freie Sicht hat. Er wird nicht die ganze Strecke durchhalten, aber es ist ein großes Feld, und ich will nicht, daß er gleich am Anfang von der Meute angerempelt wird und die Übersicht verliert. Kapiert?«
    Ich nickte. Es gab dreiundzwanzig Teilnehmer, fast die zulässige Höchstzahl für diese Art von Rennen. Harolds Hurdler lief nervös im Führring herum und schwitzte jetzt schon vor Aufregung, und ich wußte aus Erfahrung, daß es ein Tier war, an das man besänftigend und ruhig herangehen mußte.
    »Jockeys, bitte aufsitzen«, ertönte die Ansage, und der Hurdler und ich kamen einigermaßen ruhig zusammen und zum Start.
    Ich stellte mich darauf ein, mich an die Spitze zu setzen, weg aus der Gefahrenzone, und als das Band hochflog, flitzten wir los. Über das erste Hindernis, in Führung wie befohlen; guter Sprung, kein Problem. Über das zweite Hindernis, knapp in Führung; passabler Sprung, kein Problem. Über das dritte …
    In Führung, wie befohlen, beim dritten. Miserabler, katastrophaler Sprung, alle vier Beine schienen sich im Hindernis zu verfangen, statt darüber hinwegzusetzen, genau der gleiche Mist, den er am Übungshindernis zu Hause angerichtet hatte.
    Wir krachten zusammen auf die Bahn, und zweiundzwanzig Pferde setzten nach uns über das Hindernis.
    Pferde bemühen sich nach Kräften, nicht auf am Boden liegende Menschen oder Pferde zu treten, aber bei so vielen, die so dicht gedrängt und so schnell waren, wäre es ein Wunder gewesen, wenn mich keins erwischt hätte. Man konnte in solchen Fällen nie sagen, wie viele galoppierende Hufe einen trafen, dazu ging es immer viel zu schnell. Man kam sich vor wie eine Puppe, die unter eine wildgewordene Herde geraten ist.
    So etwas war mir schon öfters passiert. Es würde auch in Zukunft passieren. Ich lag schmerzverkrümmt auf der Seite, starrte auf ein Grasbüschel vor meiner Nase und dachte, daß das eine verdammt alberne Art war, sich seine Brötchen zu verdienen.
    Ich mußte fast lachen. Ich hatte diesen Gedanken schon öfter gehabt, dachte ich. Jedesmal, wenn ich so im Dreck lag, ging er mir durch den Kopf.
    Die Erste Hilfe rückte an, und viele Hände halfen mir auf. Offenbar nichts gebrochen. Dem Himmel sei Dank für starke Knochen. Ich schlang die Arme um meinen Körper, als könnte eine Umarmung meine Schmerzen lindern.
    Das Pferd war aufgestanden und hatte sich unverletzt davongemacht. Ich fuhr in einem Krankenwagen zur Tribüne zurück, demonstrierte dem Arzt, daß ich im großen und ganzen intakt war, und quälte mich langsam in meine Straßenkleidung.
    Als ich aus dem Waageraum kam, waren die Leute schon nach Hause gegangen, aber Harold stand noch da, zusammen mit Ben, seinem ersten Pferdepfleger.
    »Ist alles in Ordnung?« wollte Harold wissen.
    »Klar.«
    »Ich fahr dich nach Hause«, sagte er. »Ben kann deinen Wagen fahren.«
    Ich sah die große Sorge in beiden Gesichtern und protestierte nicht dagegen. Langte in meine Tasche und gab Ben meine Schlüssel.
    »Das war ein verdammt übler Sturz«, sagte Harold, als wir zum Tor hinausfuhren. »Echt brutal.«
    »Mhm.«
    »Ich war froh, wie du wieder aufgestanden bist.«
    »Ist das Pferd o.k.?«
    »Ja, das blöde Mistvieh.«
    Wir fuhren in angenehmem Schweigen Richtung Lambourn. Ich fühlte mich völlig zerschlagen und zittrig, aber das würde vorübergehen. Es ging immer vorüber und würde auch in Zukunft vorübergehen, bis ich zu alt dafür war. Bevor mein Körper aufgab, würde ich innerlich zu alt dafür sein, dachte

Weitere Kostenlose Bücher