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Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)

Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)

Titel: Regeln des Tanzes: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Stangl
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Seine Gesichtszüge sind ruhig, leer, so leer und ruhig wie sie es immer waren, das vertraute Lächeln zeigt sich an seinen Lippen. Es muss eine Wiederholung oder eine Probe sein (für wen geträumt), sonst wären die Züge zweifellos verzerrt, sonst müsste bereits der Zerfall eingesetzt haben, er wäre nur noch an den Kleidern zu erkennen, ansonsten schon halb mit dieser Natur rundum, der Erde, dem Holz, dem faulenden Laub verschmolzen. Wenn es nur eine Probe oder eine Wiederholung ist, könnte er doch etwas sagen, es würde nichts ausmachen, er könnte ein Zeichen geben, wenigstens ein unverständliches Zeichen. Aber da ist nur diese Leere, dieser Blick, dieses vertraute milde Lächeln. Du träumst jede Nacht davon, vielleicht habt ihr beide jede Nacht davon geträumt, solange ihr noch beide da wart, vielleicht träumt ihr immer noch beide jede Nacht davon. So etwas gibt es, so etwas muss es geben.

II
(Stadt, 19. Februar 2000 und später)
    Sie wird Fotos von der verlassenen Wohnung machen, nach ein paar Tagen des Wartens, des Horchens auf Geräusche an der Tür und im Treppenhaus, nach ein paar Telefonaten, niemand hat etwas von Mona gehört, nicht ihre Mutter (die sie erst nach über einer Woche anzurufen wagt) und keiner der Freunde, von denen sie weiß und die doch nur Freunde von früher sind. Mona hatte sich schon ein paar Mal abgesetzt, ohne jemandem Bescheid zu sagen: dieses Fortgehen und periodische Untertauchen gehörte immer zu ihrer Art, Distanz zu zeigen, eine Grenze um sich zu ziehen, Bereiche zu schaffen, zu denen niemand Zugang haben durfte; ihr Leben in Bereiche zu zerteilen, zwischen denen es keine Verbindung gab. Aber warum hängt ihre Winterjacke noch am Haken im Vorraum. Noch nie war sie so spurlos verschwunden wie jetzt. Sonst war da immer irgendeine Verabschiedungsgeste gewesen, oder ein Zeichen zwischendurch, ein Anruf, eine Karte mit einer seltsamen Zeichnung oder einem Satz, die entschieden nichts sagten, was man wissen wollen konnte, irgendein Name war gefallen, mit dem ihr Verschwinden in Verbindung stehen musste, ein Männername, zu dem es niemals ein Gesicht geben würde, der später nie mehr fiel, der Name einer Stadt. Du selbst lebst weiter in dieser Wohnung, trotzdem scheint sie dir verlassen, die ganze Wohnung, nicht allein Monas Zimmer, dieses Zimmer, in dem so wenige Bücher, so wenige CD s, so wenige Kleider, scheint dir, auf sie warten: so wenige es sind, um so mehr scheinen sie zu warten (und diese Idee wäre Mona nie gekommen, es ist eine typische Idee von dir mit deinen Büchern und den Bildern, die in den Büchern ihre Erklärung finden, den Ideen, die in Buchstaben und Sätzen ihre Form finden und ohne ihre Form nichts wären). Immer wieder gehst du in Monas Zimmer, ohne etwas zu verändern und etwas anzurühren: das Bett mit der zerwühlten orangeroten Decke, der Stuhl, über dem noch eine Jacke hängt, große Kissen, ein paar Wäschestücke, ein paar CD -Hüllen auf dem Boden (Aphex Twin, Trickys Pre-Millenium Tension , P J Harvey), ein paar an die Wand gelehnte Bücher, du kennst die Titel auswendig. An der weißgetünchten Wand hängt nur das kleine Foto einer silbernen, von Rostspuren angenagten Schraube, auf weißem Fotopapier und ohne Hintergrund (warum eine Schraube, hat sie einmal gefragt, stell dir vor, die Schraube ist ein Körperteil von dir, hat Mona geantwortet). Zigarettengeruch steht in der Luft und macht dir Kopfweh, du öffnest nicht das Fenster.
    Es ändert sich nichts hier drin, während all dieser Tage, und gleichzeitig scheint etwas nach und nach verlorenzugehen; es verlangt dich nach etwas, nach etwas anderem als nur nach der Rückkehr Monas und damit einer Art gewohnter Verhältnisse. Einmal ziehst du den Vorhang des Kleiderschranks zur Seite und findest oben in einem Regal die alte Kamera eures Vaters. Du weißt jetzt, das Licht in diesem Zimmer war es, das eine unbestimmte Herausforderung für dich geworden ist und dich immer wieder hierhergetrieben hat: dieses seltsam gleichmäßige Licht: ein schattenloses helles Grau, in dem die Gegenstände gleichgültig und funktionslos gegenwärtig scheinen. Die eigentlich blauen Laken unter der eigentlich orangen Decke, die eigentlich bunte Jacke, der eigentlich rote Vorhang, die weißen Wände, die Kissen, die CD -Cover, die kleine tragbare Stereoanlage, die neben dem Bett steht. Ein nicht entwickelter Film steckt noch in der Kamera, seit wer weiß wie langer Zeit (aber du kannst es dir denken, ziemlich

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